In neuen Innovationsatlas des Instituts der deutschen Wirtschaft kommt der Kreis Gütersloh zusammen mit den Kreisen Paderborn und Soest sowie dem Hochsauerlandkreis auf Platz vier bei den technologieorientierten Unternehmensgründungen im Zeitraum 2017 bis 2022 (in innovationsaffinen Branchen je 10.000 aktive Unternehmen). Anna Niehaus, Geschäftsführerin der pro Wirtschaft GT GmbH, über die Gründungsaktivitäten im Kreis Gütersloh und welchen Einfluss die Gründerszene auf die Zukunftsfähigkeit der Region hat.
M&W: Wie bewerten Sie dieses Ergebnis?
Anna Niehaus: Wir freuen uns sehr über dieses positive Ergebnis. Innovationen sind wichtig: Wenn eine Organisation keine Fortschritte macht, kann sie in den heutigen Zeiten unter globalen Marktbedingungen nicht bestehen. Wir brauchen daher Innovationskraft, um als Region zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies trägt nicht nur dazu bei, bestehende Arbeitsplätze zu bewahren, sondern auch neue zu schaffen und die Wertschöpfung zu steigern. Unsere bemerkenswerte Platzierung im Innovationsatlas verdeutlicht, dass Unternehmen und Fachkräfte im Kreis Gütersloh aktiv den (technologischen) Fortschritt vorantreiben. Sie setzen neue Ideen erfolgreich um und stärken somit die Innovationskraft unserer Region.
M&W: Warum gründen vergleichsviele viele Menschen hier im Kreis?
Anna Niehaus: Zunächst einmal ist der Kreis Gütersloh ein dicht besiedeltes Gebiet. In absoluten Zahlen verzeichnen wir eine bemerkenswert hohe Gründungszahl. Bei Betrachtung dieser Zahl in Relation zur erwerbsfähigen Bevölkerung, zur Gesamtzahl der Unternehmen oder zu den Gewerbeabmeldungen ergibt sich ein differenzierteres Bild.
Der Kreis Gütersloh bietet hervorragende Möglichkeiten für Gründerinnen und Gründer, um ihre Potenziale auszuschöpfen. Besonders hervorzuheben ist dabei zweifellos die gründungsfreundliche Infrastruktur. Unsere Region zeichnet sich durch einen robusten Mittelstand und solide Kaufkraftwerte aus. Die Nähe zu potenziellen Kunden, Lieferanten und Kooperationspartnern ist ein entscheidender Vorteil – sie sind nur einen Katzensprung entfernt. Darüber hinaus profitieren wir von der Nähe zu Hochschulen und Forschungseinrichtungen, und dies bei vergleichsweise moderaten Lebenshaltungskosten im Vergleich zu Ballungszentren. Dieser Umstand stellt zweifellos eine Bereicherung dar und harmoniert ausgezeichnet mit den charakteristischen Eigenschaften der ostwestfälischen Mentalität – Fleiß, lösungsorientiertes Denken, Pragmatismus und eine ausgeprägte Wertschätzung für unternehmerisches Handeln.
M&W: Welche besonderen Aktivitäten unternehmen Sie, um ein gutes Gründungsklima zu schaffen?
Anna Niehaus: Die Aktivitäten der pro Wirtschaft GT zu diesem Thema sind auf drei Hauptziele ausgerichtet. Erstens: Mehr Menschen für das Thema Gründung begeistern. Zweites: Angehende Gründerinnen und Gründer gezielt auf den Gründungsprozess vorbereiten. Und drittens: Gründerinnen und Gründer begleiten und mit Fachexperten und etablierten Unternehmen vernetzen.
Unsere Veranstaltungen, Seminare, individuellen Gespräche, Fördermittelrecherchen und Expertensprechstunden sind auf diese Ziele ausgerichtet. Wir möchten sicherstellen, dass unsere Angebote leicht zugänglich sind und daher kostenfrei angeboten werden.
Als Wirtschaftsförderungsgesellschaft arbeiten wir aber nicht isoliert an der Schaffung eines positiven Gründungsklimas: Unsere Angebote sind eingebettet in ein breites Gründungsökosystem, zu dem Institutionen wie Kammern, Kommunen, Kreditinstitute, Agentur für Arbeit, Jobcenter, Steuerberatungskanzleien, Innovationszentren und Hochschulen gehören. Dieses Gründungsökosystem wird durch wertvolle Initiativen wie die Founders Foundation oder die garage 33, Vorbilder und unterstützende Investoren ergänzt, die alle einen positiven Einfluss auf das Gründungsumfeld ausüben.
M&W: In welchen innovationsaffinen Branchen gibt es im Kreis die meisten Gründungen?
Anna Niehaus: Es gibt typische Branchen, die basierend auf ihrer Neigung zu Forschung, Entwicklung und Einführung neuer Technologien als innovationsaffin gelten. Dazu gehören beispielsweise die Informationstechnologie und Softwareentwicklung, der Maschinen- und Anlagenbau, Elektronik und Elektrotechnik, Pharmazeutik und Biotechnologie, Automobilindustrie, Medizintechnik und die Erneuerbare Energien.
Innerhalb dieser genannten Branchen ist im Kreis Gütersloh insbesondere die Metall- und Elektrobranche sowie der Maschinen- und Anlagenbau stark vertreten. Das produzierende Gewerbe spielt eine bedeutende Rolle. Die Gründungszahlen in diesen Bereichen lagen in der Vergangenheit leicht über dem Landesdurchschnitt. Diese Entwicklungen haben zweifellos zu der positiven Platzierung im Innovationsatlas beigetragen. Dennoch: Die Mehrheit der Gründungen im Kreis Gütersloh findet absolut betrachtet im Handel oder im Dienstleistungsbereich statt.
M&W: In unserem mawi-Innovationsranking, bei dem die Patentanmeldungen etablierter Unternehmen ermittelt werden, liegt der Kreis Gütersloh seit Jahren auf Platz eins. Sehen Sie hier evtl. einen Zusammenhang?
Anna Niehaus: Ein Zusammenhang zwischen den hohen Patentanmeldungen etablierter Unternehmen und den hohen Gründungszahlen ist naheliegend. Hierbei spielen sogenannte Spill-over-Effekte eine entscheidende Rolle – also Übertragungen von Aktivitäten auf andere Unternehmen oder sogar ganze Branchen. Innovationen entstehen nicht isoliert, sondern oft in Kooperation mit Kunden, Lieferanten oder Forschungseinrichtungen oder Hochschulen.
Patente sind ein wichtiger Indikator für die Innovationskraft einer Region. Allerdings: Im Kreis Gütersloh wurden in 2022 über 70 Prozent der Patente durch die beiden Unternehmen Miele und Claas angemeldet. Um sich ein Bild über die Innovationskraft einer Region zu machen, braucht es unterschiedliche Perspektiven: Welche Investitionen fließen in Forschung und Entwicklung? Wie groß ist der Pool hochqualifizierten MINT-Arbeitskräfte in den heimischen Betrieben? Wie gut ist die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie? Wie ist das regionale Bildungssystem aufgestellt? Wie effektiv funktionieren die regionalen Netzwerke, Brancheninitiativen oder Cluster?
M&W: Lässt sich feststellen, dass junge technologieorientierte Startups den Wettbewerbsdruck auf etablierte Unternehmen erhöhen und diese wiederum gezwungen werden, ihre Innovationsaktivitäten zu erhöhen, um nicht Marktanteile zu verlieren?
Anna Niehaus: Technologieorientierte Startups üben einen Wettbewerbsdruck auf etablierte Betriebe aus. Junge Unternehmen beleben die Wirtschaft und regen sogar etablierte Firmen zum kritischen Nachdenken über eigene Prozesse und Geschäftsmodelle an. Beobachten etablierte Unternehmen nicht aufmerksam den Markt und verschließen sich vor Innovationen und Neuerungen, könnten sie gegebenenfalls Marktanteile an nachhaltig aufgebaute Startups verlieren.
Viel wichtiger ist aber die Kooperation und die Zusammenarbeit beider Akteure. Es muss nicht immer eine Konkurrenzsituation entstehen. Im besten Fall ergänzen sich Startup und Bestandsunternehmen, können vom jeweils anderen Know-how profitieren und voneinander lernen. Startups gehen in der Regel mit einer anderen Dynamik an Innovationen heran, treffen kurzfristiger Entscheidungen und arbeiten vielleicht auch agiler, als ein Mittelständler mit langer Tradition. Dieser kann dagegen auf ganz andere Ressourcen und optimierte Prozesse zurückgreifen.
M&W: Welche künftigen Aktivitäten planen Sie, um das hohe Niveau im Ranking zu halten?
Anna Niehaus: Auch zukünftig möchten wir im Kreis Gütersloh den Netzwerkgedanken weiter voranbringen und Mittelstand und Startups zusammenbringen. Wir planen Formate und Veranstaltungen, die Impulse setzen, Best-Practice-Beispiele zeigen und den Wissenstransfer ermöglichen. Wir wollen weiterhin den Zugang zu Fachexpertise erleichtern, Fördermöglichkeiten aufzeigen und aktuelle technologische Entwicklungen aufgreifen.
Besonders erfreulich ist, dass im Kreis Gütersloh gleich drei Anlaufstellen für Innovationen und Gründungen entstehen oder bereits aktiv sind: die IMA Innovationsmanufaktur in Gütersloh, der Neuland-Campus in Rietberg und das Gründerzentrum in Verl. Diese drei Orte werden sichtbare Anlaufstelle für innovationsorientierte Gründerinnen und Gründer sowie Unternehmen werden. Die Weiterentwicklung des Innovationsstandortes ist eine Gemeinschaftsaufgabe: Es braucht eine Vielzahl von Akteuren, die im besten Fall an gemeinsamen Zielen arbeiten. Die Ausgangslage im Kreis Gütersloh sowie in der gesamten Region Ostwestfalen ist vielversprechend und eröffnet vielfältige Chancen für eine nachhaltige Innovationsentwicklung.