Nachhaltigkeitsreporting: „Einfach beginnen“

Die künftigen Nachhaltigkeitsberichtspflichten verunsichern viele kleine und mittlere Unternehmen. Neben der aufwendigen Umsetzung fragen sich viele, ob es sich überhaupt lohnt, Zeit für das Reporting zu investieren. Dr. Maryna Gulenko, Expertin für Reporting und Finance am Lehrstuhl für Finanzwirtschaft und Corporate Governance an der Universität Bielefeld, über die Chancen der Berichterstattung.

Wie können KMU ihren ersten Nachhaltigkeitsbericht erstellen?
Dr. Maryna Gulenko: Der erste Nachhaltigkeitsbericht stellt oft ein herausforderndes Projekt dar. Berichtsstandards können hierbei eine wertvolle Orientierung bieten und sind häufig speziell auf die Bedürfnisse von KMU zugeschnitten. Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) zum Beispiel bietet Hilfestellungen zur Identifikation wesentlicher Aspekte und Zuständigkeiten innerhalb der Organisation und bietet zudem eine kostenfreie formale Überprüfung auf Vollständigkeit.
Mittelfristig ist es sinnvoll, auch europäische Berichtsstandards in Betracht zu ziehen. In Zukunft werden speziell für KMU zugeschnittene Standards, bekannt als Freiwillige Berichtsstandards für Nicht-börsennotierte KMU (engl. Voluntary Reporting Standards for Non-listed SMEs), verfügbar sein. Diese sind aktuell als Entwurf auf der Webseite der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) einsehbar.
Unabhängig von der Wahl der Standards ist der Berichtsprozess ein fortlaufender Entwicklungsprozess. Es lohnt sich, eine langfristige und geduldige Perspektive einzunehmen. Der erste Bericht sollte nicht den Anspruch auf Perfektion erheben, sondern vielmehr eine Grundlage für die Entwicklung nachhaltiger Geschäftspraktiken und die Steigerung der Transparenz gegenüber Stakeholdern schaffen. Die Datenqualität wird sich im Laufe der Zeit verbessern, und bestehende Lücken können in zukünftigen Berichtsperioden geschlossen werden. Der beste Rat lautet daher: Einfach beginnen!

Welche Vorteile ergeben sich aus der Berichterstattung?
Dr. Maryna Gulenko: Auf gesellschaftlicher Ebene trägt die Nachhaltigkeitsberichterstattung zur Reduzierung von CO2-Emissionen bei. Aber auch Unternehmen können diese Praktiken für sich nutzen, um ihre Geschäftsmodelle an die sich wandelnden Bedingungen anzupassen und als Branchenführer den Wandel zu ihrem Vorteil zu gestalten. Damit stärken sie ihre Wettbewerbsfähigkeit. Nur Betriebe, die flexibel auf die Anforderungen reagieren, die aus globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel resultieren, sind zukunftsfähig. Wissenschaftliche Studien zeigen zudem, dass die Integration von Nachhaltigkeit in das Unternehmensmanagement den Unternehmenswert steigern kann. Nicht zu unterschätzen ist zudem die Tatsache, dass von der erhöhten Transparenz und einer Tendenz zu mehr Gleichheit und Nachhaltigkeit auch die Arbeitgebermarke profitiert.

Berichterstattung lässt sich zudem als strategisches Instrument nutzen, um Schwachstellen in den eigenen Nachhaltigkeitspraktiken zu identifizieren und Verbesserungspotenziale zu erschließen. Es ist entscheidend, messbare Ziele zu definieren und klare Strategien zu entwickeln, um diese Ziele zu erreichen. Dies basiert auf dem Prinzip: „Was messbar ist, kann auch gemanagt werden.“ Durch eine gezielte Analyse lassen sich oft Einsparpotenziale bei Ressourcen aufdecken, was nicht nur ökologisch vorteilhaft, sondern auch finanziell attraktiv ist. Zudem fördert dieser Ansatz die Entwicklung innovativer Lösungen, beispielsweise zur Reduzierung des Materialeinsatzes in der Produktion oder zur Steigerung der Langlebigkeit von Produkten.

Und was bedeutet das Reporting für die Kundenbeziehung und für die Glaubwürdigkeit gegenüber Kreditgebern?
Dr. Maryna Gulenko: Unternehmen, die sich bereits jetzt der Thematik stellen, sind besser vorbereitet und damit in der Lage, qualifiziert auf die Nachfrage von Kunden und Kreditgebern zu reagieren. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD; Richtlinie (EU) 2022/2464) schreibt großen, kapitalmarktorientierten Unternehmen ab dem Geschäftsjahr 2024 und großen Kapitalgesellschaften ab 2025 vor, ihren Nachhaltigkeitsbericht gemäß den European Sustainable Reporting Standards (ESRS) zu erstellen. Da der Bericht auch die Lieferkette einschließt, sind indirekt viele weitere Unternehmen betroffen. KMU, die sich frühzeitig auf Datenanforderungen von Kunden vorbereiten, können sich als verlässliche Partner positionieren und ihre Kundenbeziehungen stärken.
Zukünftig könnten auch von Seiten der Kreditgeber verstärkte Anforderungen an Nachhaltigkeitsinformationen an KMU gestellt werden. Obwohl die EU-Taxonomie bisher nur Transparenz für Finanzprodukte fordert, die als ökologisch nachhaltige Investitionen vermarktet werden, könnte auch die Kreditvergabe zunehmend an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft werden. Daher ist es ratsam, insbesondere Daten zu CO2-Emissionen proaktiv zu sammeln, um den potenziellen Anforderungen von Banken gerecht zu werden.

Wie gelingt eine erfolgreiche Berichterstattung?
Dr. Maryna Gulenko: Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die feste Verankerung des Themas in der Führungsebene. Es ist sinnvoll, dass die Geschäftsführung sich deutlich für das Projekt einsetzt und die Initiative persönlich vorantreibt. Entscheidend ist, das Projekt nicht primär als Reaktion auf regulatorische Anforderungen und bürokratische Last zu kommunizieren, sondern vielmehr als essenziellen Bestandteil der Unternehmensstrategie und der notwendigen Transformation zur langfristigen Sicherung der Geschäftstätigkeit.
Ein weiterer wesentlicher Erfolgsfaktor, der zugleich eine Herausforderung darstellt, liegt in der Sensibilisierung und Einbindung der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Gegensatz zur Finanzberichterstattung erfordert die Nachhaltigkeitsberichterstattung die Zusammenarbeit verschiedener Unternehmensbereiche, um die notwendigen Daten und Berichtsinhalte zu erfassen. Es ist die Aufgabe der Geschäftsführung alle Mitarbeitenden im Unternehmen zu informieren – und zwar durch klare Kommunikation und effektive Aufklärungsarbeit.

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