Wer sich bei der Arbeit nicht wohlfühlt, überlastet und psychisch belastet ist, kann weniger leisten. Wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zufrieden und gesund bleiben und was Führungskräfte tun können, erklärt Professorin Dr. Barbara Steinmann von der Hochschule Bielefeld, Lehrgebiet Personal- und Organisationspsychologie.
Untersuchungen zeigen, dass die gesundheitliche Belastung bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Warum macht die Arbeit offensichtlich so viele Menschen krank?
Dr. Barbara Steinmann: Bereits vor der Corona-Pandemie hat sich die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in einem umfangreichen Arbeits- und Forschungsprogramm mit dieser Frage vor allem im Hinblick auf die psychische Gesundheit beschäftigt. Die Forscherinnen und Forscher konnten verschiedene „Cluster“ von Einflussfaktoren feststellen. Zunächst einmal spielen natürlich die Arbeitstätigkeit selbst und die mit ihr verbundenen Aufgaben und Anforderungen eine entscheidende Rolle. Wie zu erwarten, sind hierbei insbesondere eine zu hohe Arbeitsintensität und hohe quantitative Arbeitsanforderungen als Stressoren zu nennen. Sind Arbeitsintensität und Arbeitslast dauerhaft zu hoch, werden Burnout-Symptome oder depressive Verstimmungen wahrscheinlicher. Mit den verschiedenen Krisen, mit denen wir in den letzten Jahren konfrontiert wurden, ist in vielen Bereichen auch eine andauernde Erhöhung der Arbeitsintensität und eine Verdichtung der Arbeitsaufgaben einhergegangen. Gleichzeitig sind in der sich wandelnden Arbeitswelt vielen Beschäftigten die eigene Rolle und die Ziele zunehmend unklar – auch das wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus.
Und welchen Einfluss hat die Arbeitszeit auf das Wohlbefinden beziehungsweise die Gesundheit?
Dr. Barbara Steinmann: In der Tat hängt auch die Arbeitszeit eng mit unserer Gesundheit zusammen. Je länger wir arbeiten und je mehr wir dies zu „sozial wertvollen“ Zeiten tun, also zum Beispiel dann, wenn Familie und Freunde für gemeinsame Freizeit zur Verfügung stünden, desto mehr leidet potenziell die Gesundheit. Negative Auswirkungen der Arbeitszeit lassen sich Studien zufolge vor allem auch darauf zurückführen, dass es uns bei langer Arbeitsdauer und auch bei hoher Arbeitsintensität weniger gelingt, uns nach Feierabend gedanklich von der Arbeit zu lösen. Können Aufgaben im Tagesverlauf nicht abgeschlossen werden, dann hängen sie uns häufig am Abend noch gedanklich nach. Ein solches mangelndes „Detachment“ ist insbesondere auch im Homeoffice bei vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu beobachten. Autofahrten, die durch räumliche Distanz auch gedankliche Distanz schaffen könnten, fehlen und der Laptop auf dem Küchentisch erinnert uns auch beim Abendessen daran, was wir am Tag nicht geschafft haben.
Im Homeoffice kann dann noch hinzukommen, dass soziale Beziehungen wegfallen oder arbeitsbezogene soziale Kontakte weniger intensiv gelebt und erlebt werden. Soziale Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzte ist aber eine ganz zentrale Ressource, die die negativen Auswirkungen von arbeitsbezogenen Stressoren abmildern kann. Es kommen also aktuell nicht nur vermehrt Stressoren auf uns zu, sondern wichtige Ressourcen stehen uns in manchen Arbeitssettings auch weniger zur Verfügung. Gerade in Zeiten von Krisen und mangelnder Arbeitsplatzsicherheit, denen Beschäftigte derzeit in vielen Unternehmen ausgesetzt sind, sind arbeitsbezogene Ressourcen zentral für die Gesundheitserhaltung.
Welchen Einfluss hat das auf die Führungskräfte bzw. deren Verhalten?
Dr. Barbara Steinmann: Verdichtete Arbeitssettings und Krisen- und Reorganisationssituationen sind auch für Führungskräfte eine besondere Belastung. Stehen Führungskräfte unter Stress, gelingt es ihnen meist nicht mehr so gut mitarbeiterorientiert zu führen. Stattdessen greifen sie dann vermehrt zu destruktivem Führungsverhalten, zum Beispiel Mitarbeitende für ihre eigenen Fehler verantwortlich zu machen, ihnen Vorwürfe zu machen oder sie vor anderen bloßzustellen, bis hin zu aggressivem und ausnutzendem Verhalten. Während mitarbeiterorientiertes Verhalten für die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Ressource darstellt, geht destruktive Führung mit vermehrter Ängstlichkeit, Frustration, Ärger und Depressivität, aber auch Stress, Burnout und gesundheitlichen Beschwerden seitens der Geführten einher. Studien belegen, dass Wohlbefinden und die psychische Funktionsfähigkeit abnehmen.
Auch hier sind die Einflüsse vielfältig und umfassen noch viele weitere Aspekte. Und ob ein hohes Maß an Arbeitslast oder destruktiver Führung eine einzelne Person krank macht, das hängt letztlich auch von ihren individuellen Ressourcen, den Strategien im Umgang mit Stressoren und der persönlichen Disposition ab.
Wie muss Arbeit gestaltet werden, damit die Mitarbeitenden gesund und motiviert bleiben und ihre Persönlichkeit und Kompetenzen entwickeln können?
Dr. Barbara Steinmann: Der Großteil des Lernens und der Persönlichkeitsentwicklung am Arbeitsplatz erfolgt nicht gezielt, sondern durch informelle Lernprozesse bei der Ausübung der Arbeitstätigkeit selbst. Deshalb kommt der Arbeitsgestaltung eine so zentrale Rolle zu. Ein wichtiger arbeitsgestalterischer Aspekt ist der Entscheidungs- und Handlungsspielraum, den Personen bei der Arbeit erleben. Autonomie und Entscheidungsbefugnisse gehen mit der Wahrnehmung von Einfluss und Bedeutung innerhalb der Organisation einher. Das stärkt den Selbstwert und führt dazu, dass Mitarbeitende bereit sind, auch künftig mehr Verantwortung zu übernehmen.
Maßgeblich ist dabei, dass den Beschäftigten klar ist, welche Ziele sie erreichen sollen und was das Ergebnis ist, was von ihnen erwartet wird. Nur dann haben sie die Möglichkeit, autonom Mittel, Wege und zeitliche Ressourcen zur Zielerreichung auszuwählen und sich in diesem Prozess zu entfalten. Dabei sollte die Aufgabe trotzdem den Raum bieten, sie nach eigenen Bedarfen anzupassen. Allerdings ist das Bedürfnis nach Autonomie nicht bei allen Beschäftigten gleich ausgeprägt und ein großer Handlungsspielraum kann für manche auch ein Stressor sein. Hier sind also Gespräche wichtig, wie viel Autonomie sich ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin wünscht.
Neben einem angemessenen Grad an Autonomie ist für die Weiterentwicklung auch bedeutsam, dass Mitarbeitende die Möglichkeit erhalten, eine Aufgabe vollständig zu übernehmen und nicht nur für einzelne Teilprozesse zuständig zu sein. Ganzheitliche Aufgaben erlauben es, sich eigenständig Ziele zu setzen und Entscheidungen zu treffen, die Tätigkeit zu planen, auszuführen und zu kontrollieren und sie bieten die Möglichkeit, die eigenen Ergebnisse zu optimieren. Erst dann ist es Mitarbeitenden möglich, die Bedeutung ihrer Tätigkeit für die Gesamtorganisation zu begreifen und eigene Arbeitsweisen zu entwickeln. Wichtig ist, dass auch ausreichend Zeit für die eigenständige Auseinandersetzung mit der Aufgabe zur Verfügung steht, damit Kompetenzen und Persönlichkeit gefördert werden. Weil ganzheitliche Aufgaben vielfältige Anforderungen an die Beschäftigten stellen, müssen diese verschiedene Fertigkeiten bei der Umsetzung einbringen und können so neue berufliche Kompetenzen erwerben. Die Erkenntnis, die Aufgabe erfolgreich bewältigt zu haben, stärkt dann das Gefühl von Selbstwirksamkeit und trägt zur persönlichen Entwicklung bei. Dies ist umso mehr der Fall, wenn Arbeit so gestaltet ist, dass ihr Beitrag zu einem höheren Ziel ersichtlich wird, sie sinnhaft ist.
Welche Rolle spielt Feedback bei der Entwicklung der eigenen Fertigkeiten und der Persönlichkeit?
Dr. Barbara Steinmann: Feedback ist ein ganz wesentlicher Aspekt bei der Entwicklung der Fertigkeiten und der Persönlichkeit. Dabei verstehen wir mit dem Blick der Arbeitsgestaltung hierunter nicht die Rückmeldung, die ich von meinen Kolleginnen und Kollegen oder meiner Führungskraft erhalte. Wichtig ist, dass Arbeit so gestaltet ist, dass Mitarbeitende bei der Ausübung der Tätigkeit durch die Bearbeitung von Aufgaben selbst direkt Rückmeldung bekommen. So können sie schon bei der Umsetzung erkennen, ob sie auf dem richtigen Weg sind oder andere Strategien zur Aufgabenbearbeitung entwickelt und eingesetzt werden müssen. Hierdurch wird Lernen möglich.
Gerade für die Persönlichkeitsförderung ist es außerdem zentral, dass die Tätigkeit Möglichkeiten zur Interaktion bietet. Sozialer Austausch und soziale Konflikte fordern Anpassungen von Menschen und bieten dadurch Lernchancen. Werden komplexe Aufgaben im Team gelöst, können Mitarbeitende mit ihren spezifischen Stärken und Schwächen voneinander lernen, aber auch gemeinsam ihre Kompetenzen entwickeln. Gleichzeitig schaffen soziale Kontakte durch ihre puffernde Wirkung gegenüber Stress überhaupt erst Freiräume, sich entwickeln zu können.