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Fachkräftemigration

„Ziel muss es sein, Unternehmen direkter zu unterstützen“

Die Personalengpässe in der deutschen Wirtschaft nehmen immer weiter zu. Vor allem Menschen mit Berufsausbildung werden händeringend gesucht. Trotzdem setzt noch nicht einmal jedes fünfte Unternehmen auf Fachkräfte aus dem Ausland, wie der neue Fachkräftemigrationsmonitor der Bertelsmann Stiftung festgestellt hat. Paula Abbate, Project Manager bei der Bertelsmann Stiftung, über die Gründe und was sich ändern muss. 

m&w: Warum ist der Bedarf an Fachkräften trotz Energiekrise, Krieg und Inflation in den Unternehmen weiterhin hoch?
Paula Abbate: Trotz der multiplen Krisen ist der hohe Arbeitskräftebedarf nicht eingebrochen. Im vierten Quartal 2022 gab es bundesweit 1,98 Millionen offene Stellen. Das sind 295.500 mehr als im Jahr zuvor und stellt damit laut IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) ein Allzeithoch dar. Wirtschaftsexpertinnen und Wirtschaftsexperten sehen in dem stabilen Arbeitsmarkt einen wichtigen Grund dafür, dass Deutschland stabil durch die Krise kam. Da viele Unternehmen bereits vor dem Energiepreisanstieg unter einem Mangel an Arbeitskräften gelitten haben, waren Arbeitsplatzverluste selten und Neueinstellungen nur in geringem Maße reduziert. Konjunkturelle Einbrüche ändern mittelfristig nichts an strukturellen Erwerbs- und Fachkräfteengpässen, die sich insbesondere durch die demografische Entwicklung erklären lassen.









Paula Abbate, Project Manager bei der Bertelsmann Stiftung
(Foto: Bertelsmann Stiftung)

m&w: In welchen Branchen ist der Fachkräftebedarf am größten?
Paula Abbate: Die Bundesagentur für Arbeit ermittelte für 2021 für insgesamt 72 Berufsuntergruppen auf dem Anforderungsniveau Fachkraft einen Fachkräfteengpass. Dieser zeigte sich vor allem in Pflegeberufen sowie in medizinischen und nichtmedizinischen Gesundheitsberufen, in Berufen des Handwerks sowie in Bauberufen. Daneben beobachtete sie Engpässe in Verkaufsberufen – vor allem von Lebensmitteln – und bei Berufskraftfahrern im Güterverkehr.

m&w: Im Frühjahr 2020 ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) in Kraft getreten mit dem Ziel, den Zuzug qualifizierter Fachkräfte aus dem nicht EU-Ausland zu erleichtern und so die Fachkräftesicherung in Deutschland zu verbessern. Was konnte bisher erreicht werden?
Paula Abbate: Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) existiert seit März 2020 ein Instrument, um den Fachkräftebedarf der deutschen Wirtschaft durch eine gezielte und gesteigerte Zuwanderung entsprechend qualifizierter Personen aus Nicht-EU-Ländern zu unterstützen und damit Fachkräftemigration nach Deutschland zu erleichtern. Die Zu- und Fortzugszahlen des Ausländerzentralregisters (AZR) aus dem Jahr 2021 zeigen eine klare Erholung nach dem Ende eines Großteils der politischen Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie und reflektieren zugleich die beginnende Umsetzungspraxis des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, wenn auch weiterhin noch sehr verhalten. Die Zahlen sind im Jahr 2021 zwar gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel auf 40.421 Personen angestiegen, blieben aber deutlich hinter den Jahren vor 2020 zurück (2019: 64.219). Die neu eingeführten Aufenthaltstitel   für Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung oder akademischem Abschluss wurden an gut 2.300 Personen mehr vergeben, doch stellen sie gegenüber dem Vorjahr nur 1,5 Prozentpunkte mehr gegenüber den anderen Fachkräftetiteln dar. Die Blaue Karte EU ist weiter auf Erfolgskurs: Fast die Hälfte (48%) aller Fachkräfte reiste 2021 darüber ein.                                 

Obwohl der Gesamtsaldo der Zuwanderung nach Deutschland 2021 wieder Vor-Corona-Niveau erreichte, blieben die Zahlen für Erwerbs- und Fachkräftemigration deutlich dahinter zurück. Welche Faktoren dafür ausschlaggebend waren, lässt sich schwer bestimmen. Fortgesetzte Corona-Effekte scheinen, zumindest nach Angaben von Unternehmen, weniger eine Rolle gespielt zu haben, ebenso wenig wie Fragen finanzieller Ressourcen. Stattdessen wird deutlich, dass der aktuelle rechtliche und administrative Rahmen zur Fachkräfteeinwanderung noch nicht ausreichend wirkt. Vielmehr ist eine Ausweitung des Rechts und vor allem dessen Umsetzung nötig, wie es derzeit von der Bundesregierung mit dem Gesetzesentwurf zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung geplant ist. 

m&w: Wo liegen die größten Hürden für Unternehmen, ausländische Beschäftigte einzustellen? 
Paula Abbate: Unternehmen, die bereits Erfahrungen mit der Rekrutierung ausländischer Fachkräfte gemacht haben, geben an, dass die bürokratischen und rechtlichen Hürden ebenso wie sprachliche Verständigungsschwierigkeiten seit dem letzten Jahr deutlich zugenommen haben. Mit gut 56 Prozent werden Verständigungsschwierigkeiten mit Abstand als größtes Hindernis wahrgenommen; die Einschätzung von Qualifikationen wird gleichfalls verhältnismäßig hoch eingestuft, kurz dahinter stehen falsche Vorstellungen der Bewerbenden. Schwierigkeiten mit dem Thema „Sprache“ wiederum deuten auf eine mangelhafte Infrastruktur für deutschen Spracherwerb sowie auf fehlende Kapazitäten in Deutschland und insbesondere im Herkunftsland hin. Demgegenüber ist die Haltung zur Rekrutierung aus dem Ausland bei Entscheiderinnen und Entscheidern, die bisher keine Fachkräfte aus dem Ausland rekrutiert haben, noch eindeutiger: Als Hauptgrund, keine ausländischen Fachkräfte zu rekrutieren, überwiegen sprachliche Verständigungsschwierigkeiten; ebenso wird die Schwierigkeit, Qualifikationen einzuschätzen, als großes Hindernis gesehen. Die erwarteten wie die erlebten Hindernisse und Probleme haben sich damit im Vergleich zu den Vorjahren teilweise bedeutend verstärkt.

m&w: Was müsste konkret verbessert werden?
Paula Abbate: Zunächst müssen rechtliche und bürokratische Rahmenbedingungen verbessert werden. Eine effektivere Anerkennung und Inwertsetzung ausländischer Qualifikationen sowie angemessene überprüf- und validierbare Berufserfahrung sind zentral für qualifikationsadäquate Beschäftigung und zur Erweiterung des Arbeitsmarktzugangs für zugewanderte Arbeitskräfte. Dies setzt unter anderen eine Aufstockung personaler und finanzieller Ressourcen in den Vollzugsbehörden voraus, aber auch die Verschlankung, Vereinheitlichung und Digitalisierung von Verwaltungsprozessen. Darüber hinaus sind Angebote zur Sprachförderung, Integrationshilfe vor Ort sowie eine engere Vernetzung von Unternehmen, Behörden und Zivilgesellschaft notwendig, um die Migrantinnen und Migranten gezielter zu unterstützten.
Doch es geht nicht nur darum, den rechtlichen Rahmen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes zu verbessern und nachhaltig stärker   auszuweiten, wie es die aktuellen Bemühungen der Bundesregierung darlegen. Ziel muss es vielmehr sein, Unternehmen direkter zu unterstützen sowie ihnen Orientierung und Zugänge für eine erleichterte Rekrutierung aus dem Ausland sowie die nachfolgende Integration der Zugewanderten zu bieten. Hier liegt ein großes Potenzial zur Verbesserung der Arbeits- und Fachkräfte-, aber auch der  Ausbildungszuwanderung und der Integration der Zugewanderten nach und in Deutschland.

m&w: In Ihrer Studie empfehlen Sie, das Modell der transnationalen Ausbildungspartnerschaften mit Ländern des globalen Südens zu erweitern. Welche Idee, welches Konzept steckt dahinter? 
Paula Abbate: Nachhaltige Ergebnisse bei der internationalen Fachkräftegewinnung können nur erzielt werden, wenn die Interessen von Einwanderungsländern, Herkunftsländern sowie von Migrierenden selbst angemessen berücksichtigt werden. Im Sinne dieser Triple-Win-Perspektive erforscht die Bertelsmann Stiftung seit 2015 den Ansatz der transnationalen Ausbildungspartnerschaften, auch Skills Partnerships genannt. Dieser Begriff beschreibt eine neuartige Form der Arbeits- und Ausbildungsmigration und wird verwendet als Oberbegriff für transnationale Modelle, die entwicklungsorientierte Migrationspolitik mit (Berufs-)Bildungspolitik verknüpfen und dabei auf eine gerechte Verteilung der durch qualifizierte Migration erzielten Vorteile abzielen.

Nur durch die Berücksichtigung der Perspektiven und Bedarfe von Ausbildungssystemen und Arbeitsmarkt im Herkunftsland sowie der Migrantinnen und Migranten lässt sich eine nachhaltige, entwicklungspolitisch orientierte Fachkräfteentwicklung und -zuwanderung für alle Seiten sichern. Dort, wo Fachkräftegewinnung bereits bei der Qualifizierung und nicht erst bei der Abwerbung ansetzt, hat sie das Potenzial, die Fachkräftebasis global zu stärken, den notwendigen Interessensausgleich zwischen allen Parteien zu organisieren und  schädliche Effekte der Arbeitsmigration wie etwa Braindrain zu reduzieren. Mit Hilfe von transnationalen Ausbildungspartnerschaften gewinnen Herkunftsländer nicht mehr allein durch die Geldtransfers der Migrantinnen und Migranten, sondern ihnen kommen überdies wichtige Impulse für ihre Ausbildungssysteme und Arbeitsmärkte zugute. Dabei profitiert Deutschland ebenfalls durch qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland und steuert die dringend benötigte qualifizierte Zuwanderung in geordnete, reguläre und damit sichere Bahnen.

m&w: Der Mangel an Fachkräften in Deutschland ist das eine, wie attraktiv ist Deutschland für Fachkräfte aus dem Ausland? Wo sind die Unternehmen gefordert, hier ihren Beitrag zu leisten?
Paula Abbate: Laut Ergebnissen der im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführten Studie „OECD Indicators of Talent Attractiveness“ (2023), die für alle 38 OECD-Länder die Rahmenbedingungen analysiert, die für qualifizierte Migrantinnen und Migranten attraktiv sind, fällt Deutschland im internationalen Wettbewerb um hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland im Vergleich zu 2019 zurück. Mit Blick auf eine mögliche Einbürgerung sind andere Länder im OECD-Raum deutlich besser aufgestellt, weil sie schneller einbürgern und doppelte Staatsbürgerschaft nicht nur als Ausnahme akzeptieren. Zudem finden Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Gründende aus dem Ausland in Deutschland höhere Hürden, ein Unternehmen oder Startup zu gründen. Verbessern sollten sich in der Bundesrepublik die Chancen ausländischer Akademikerinnen und Akademiker, hochqualifizierte Jobs entsprechend ihrer Kompetenzprofile zu besetzen. Handlungsbedarf gibt es zudem im Hinblick auf die zögerliche Einbürgerungspraxis, die gesellschaftliche Akzeptanz von Migrantinnen und Migranten sowie die schleppende Digitalisierung, unter anderem von Visaverfahren. Deutlich besser bewertet werden die Rahmenbedingungen für internationale Studierende, die in Deutschland im internationalen Vergleich beste Möglichkeiten finden.
Bessere, auch geschlechtergerechtere Arbeitsbedingungen machen Branchen mit Arbeits- und Fachkräfteengpässen attraktiver für In- und Ausländerinnen und Ausländer, sichern eine lange Beschäftigungsfähigkeit und verhindern, dass Ausländerinnen und Ausländer in diesen Branchen schlechter gestellt sind. Insbesondere Unternehmen müssen dabei stärker in die Pflicht genommen und zugleich bei der Umsetzung unterstützt werden.

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