Trends in der Kundengewinnung und -bindung

„Wir erleben eine Verlagerung der Leadgenerierung von Sales hin zum Marketing“

Mirco Welsing ist Vorstandsmitglied im Bundesverband Marketing Clubs und dort für das Thema Digitalisierung zuständig. Seit gut einem Monat führt seine TMC GmbH aus Paderborn das Agenturranking in OWL an. Welsing denkt Marketingprojekte gern bis in die Tiefe durch – das liegt sicher nicht nur daran, dass er passionierter Taucher ist. Wir haben den Marketingexperten zu aktuellen Kundengewinnungs- und -bindungstrends befragt.

m&w: Herr Welsing, Sie haben gut 30 Jahre praktischer Marketingerfahrung in Konzernen und als Agenturchef. Hat sich in dieser Zeit etwas geändert bezüglich der Kundenansprache im B2B-Bereich?
Mirco Welsing: Eine Menge! Zum einen haben wir dank des Internet eine breite Auswahl an Kanälen hinzugewonnen. CRM- und Automated Marketing-Systeme erleichtern uns die Arbeit bei der Anbahnung und Bindung von Kundenbeziehungen. Und Tools wie die Lymbic Map oder Personas versetzen uns in die Lage, die Zielgruppe schon lange vor dem ersten persönlichen Kontakt optimal anzusprechen. Verglichen damit haben wir zu meiner Anfangszeit viel im Trüben gefischt und auf persönliche Erfahrungswerte gesetzt.

m&w: Die Kunden schon lange vor dem Kontakt perfekt ansprechen: Das klingt interessant. Wie bewerkstelligen Sie das?
Mirco Welsing: Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen dafür. Mit der Lymbic Map teilt man seine Zielgruppen in verschiedene Motivations- und Emotionstypen auf und weiß so, welche Art von Kommunikation sie am besten anspricht. Einen anderen Weg geht die Buyer Persona. Hier werden durch qualitative Interviews mit bestehenden und potenziellen Businesskunden Aussagen zum Kaufprozess, Entscheidungskriterien, Barrieren, dem Kaufauslöser usw. gesammelt und geclustert. Das Ergebnis ist ein Informationsdestillat, mit dem sich Vertrieb und Marketing sehr gut in die Lage des Kunden während der Kaufentscheidung versetzen können. Auch hier ist das Ziel, die Erwartungen der potenziellen Käufer zu bedienen.

m&w: Ein erfahrener Vertriebler würde jetzt entgegnen, dass er seine Kunden gut kennt und solche Tools nicht braucht
Mirco Welsing:
Das nehme ich dem Vertriebler auch ab. Doch auch im B2B-Umfeld informieren sich Kunden über Hersteller, Dienstleister und Lieferanten vorab im Netz. Hier muss die Ansprache bereits sitzen. Wir erleben in dem Zuge eine Verlagerung der Leadgenerierung von Sales hin zum Marketing. Deshalb müssen die beiden Disziplinen auch enger denn je zusammenarbeiten, um erfolgreich zu bleiben.

m&w: Die Grenzen zwischen Sales und Marketing verschwimmen also, um Kunden optimal anzusprechen. Wie gelingt eine solche Zusammenarbeit?
Mirco Welsing: Ganz kurz gesagt: Durch ein Alignement der Arbeitsweisen. Solche Change-Prozesse habe ich schon begleiten dürfen und kann sagen: Am Ende gewinnen beide Seiten. Das Marketing kommt endlich seiner aktuellen Aufgabe als Leadmagnet nach, anstatt im „Taskwheel“ zu ertrinken. Und der Vertrieb konzentriert sich auf das, was er am besten kann: abschließen. Ein gemeinsam genutztes CRM hat sich dabei bisher als sehr zielführend erwiesen.

m&w: CRM-Systeme haben sich in der Vergangenheit auch weiterentwickelt. Sie sind weit mehr als nur digitalisierte Karteikarten
Mirco Welsing: Daran, wie diese Systeme wie Salesforce, HubSpot oder Marketo aufgebaut sind, sieht man eigentlich schon, wie Vertrieb und Marketing verflochten sind. Leads landen hier aus verschiedenen Quellen wie Websites, Messen, Webinaren usw. Von hier aus werden sie – teils automatisiert – weiter qualifiziert, mit relevanten Informationen versorgt und zum Schluss an den Vertrieb übergeben. Und der hat dadurch eine unglaubliche Fülle an Informationen zum jeweiligen Kontakt, die erst durch die neue Rolle des Marketings möglich wurden.

m&w: Ändert sich durch diese Entwicklungen eigentlich auch das Käuferverhalten?
Mirco Welsing: Ganz klar, ja. Die leichtere Informationsbeschaffung im Internet haben wir schon angesprochen. Was hinzukommt, ist die Tiefe dieser Information. Ich bin als Kunde heute in der Lage, Produkte, Leistungen und Prozesse viel besser zu erfassen. Das liegt vor allem daran, dass die Lieferanten gewillt sind, mehr Informationen preiszugeben, um im Gegenzug Kontaktinformationen zu erhalten. Und mittlerweile wird diese Informationstiefe auch vom Kunden erwartet, zu einem Zeitpunkt, an dem an eine Vertragsunterzeichnung noch lange nicht zu denken ist.

m&w: Lässt sich diese Erwartungshaltung auch auf bestehende Kunden übertragen?
Mirco Welsing: Auch bestehende Kunden haben so hohe Erwartungen an ihre Lieferanten wie nie zuvor. Kunden gehen heute von einer nahtlosen und regelmäßigen Kommunikation aus. Sie wollen mehr als ein reines Geschäftsverhältnis. Das ist vielleicht eine Folge des Erlebnischarakters, den Kommunikation heute schon in vielen B2C-Branchen einnimmt. Ich sehe darin allerdings mehr eine Chance, als einen Nachteil.

m&w: Erlebniskommunikation als Chance? Im B2B-Sektor?
Mirco Welsing: Im Grunde schon. Durch Internet und Globalisierung haben B2B-Kunden eine unfassbare Auswahl an Möglichkeiten – und wechseln den Anbieter entsprechend schneller als früher. Im Vorteil sind dann solche Unternehmen, die technologisch reagiert haben und beispielsweise mit Marketing Automation, Wissensangeboten und einem reibungslosen Customer Service eine Art B2B-Erlebnischarakter bieten können. Das beginnt bei einem optimalen Redaktionsplan für Earned und Owned Media wie die eigene Website und Social-Media-Kanäle. Und es endet noch lange nicht bei der Glückwunsch-E-Mail nach Vertragsabschluss. Das bedeutet sicherlich Aufwand, den man als Unternehmen vor 20 Jahren vielleicht noch nicht hatte. Und es ist eine neu gewonnene Möglichkeit für Cross- und Upselling sowie für die enge Bindung von Kunden an das eigene Unternehmen. Das bedeutet auch für den beratungsorientierten Vertrieb eine Fülle an Möglichkeiten zur Kundengewinnung.

m&w: Kundenbindung ist ein gutes Stichwort. Was raten Sie Unternehmen, die aus Kunden echte Fans machen wollen?
Mirco Welsing: Schaffen Sie eine Marke, die ihr Unternehmen und seine Werte widerspiegelt. Das ist leichter gesagt als getan, hat sich jedoch für jeden Kunden ausgezahlt, den ich bislang betreuen durfte. Wie schon gesagt, sind begeisternde Erlebnisse hierbei ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt: Vom ersten Kontakt auf der Messe über Verhandlungen bis zur Betreuung nach dem Kauf muss ein einheitliches Verständnis davon aufgebaut werden, warum mein Unternehmen die beste Lösung für das Problem meines Kunden ist. Und warum das auch so bleibt. Jede Form von Kommunikation muss denselben Grundsätzen folgen und die Dachbotschaften meiner Marke in das jeweilige Medium umsetzen. Wenn diese Basisarbeit getan ist, lassen sich selbst hier digitale Prozesse etablieren, welche die Reise des Kunden bis zu einem gewissen Grad individuell begleiten.

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