Heike Wulf arbeitet als Technologiescout im Transferprojekt Innovation Campus for Sustainable Solutions (InCamS@BI) von Hochschule Bielefeld (HSBI) und Universität Bielefeld. Zusammen mit ihrer Forschungsgruppe „Zirkuläre Wertschöpfung betreut sie das Expert Panel „Circular Economy in der Unternehmensstrategie“. Im Interview erklärt sie, wie Kunststoffe in einer Circular Economy einsetzbar sind und wie so die Verschwendung von Ressourcen minimiert werden kann.
Frau Wulf, Sie sind Umweltingenieurin und kennen sich daher unter anderem mit dem Thema Recycling und Abfallwirtschaft sehr gut aus. Was sind aktuell die größten Herausforderungen in diesen Bereichen?
Heike Wulf: Ein grundsätzliches Problem ist es, dass die Recyclingfähigkeit von Wertstoffen nicht ausreichend gegeben ist. Dadurch sind große Flächen für Mülldeponien notwendig, beispielsweise für Baustoffe oder Aschen. Durch mehr Recycling könnte man die Flächen anderweitig nutzen.
Eine andere aktuelle Herausforderung in der Abfallwirtschaft entsteht durch Knopfzellen und Batterien. Diese werden beispielsweise in leeren E-Zigaretten oder Vapes im Restmüll entsorgt. Häufig ist jedoch noch eine Restspannung vorhanden. Dadurch können sich unter Umständen Brände entwickeln. Brennt eine Sortieranlage ab, ist ein Wiederaufbau der Anlage auf Grund von Haftungsfragen oft schwierig.
Welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie insbesondere beim Recycling von Kunststoffen?
Heike Wulf: Kunststoffe werden aus Erdöl hergestellt und bei ihrer Produktion wird viel Energie gebraucht. Um die Klimaziele zu erreichen und die Nachhaltigkeit zu verbessern, ist es daher sehr wichtig, dass Kunststoffe mehrfach verwendet werden können. Dazu müssen wir die Recyclingfähigkeit von Kunststoffen insgesamt stark erhöhen. Eine Möglichkeit ist es, die Anzahl von Materialvarianten zu reduzieren und auf einfach mechanisch recyclingfähiges Material zu setzen, insbesondere bei Verpackungen aus Kunststoff, die nur sehr kurzfristig im Verkehr sind.
Technische Kunststoffe werden in der Regel länger genutzt. Aus ihnen bestehen beispielsweise Baustoffe oder auch Autoteile. Auch hier ist es wichtig, schon vor der Produktion auch das Recycling mitzudenken. Hierzu ist es entscheidend, dass die Produkte demontierbar und mechanisch recyclebar sind.
Das Recycling ist eine der bekanntesten Möglichkeiten zur Abfallvermeidung. Neben dem Recycling gibt es noch weitere sogenannte R-Prinzipien. Können Sie Beispiele nennen?
Heike Wulf: Es ist wichtig, dass Unternehmen für ihr individuelles Produkt genau schauen, wie es nachhaltiger gestaltet werden kann. Eine Möglichkeit bietet auch das R-Prinzip „Reduce“. Hier geht es um Einsparungen. Wenn beispielsweise eine Verpackung kleiner wird, müssen weniger Kunststoffe zu ihrer Herstellung genutzt werden. Die Reduzierung der genutzten Rohstoffe sollte jedoch nicht auf Kosten der Langlebigkeit eines Produkts gehen.
Das Prinzip „Repair“ ist ein Schwerpunkt meiner Arbeit. Am Institut für Technische Energie-Systeme (ITES) der HSBI entwickeln wir Strategien, um die Langlebigkeit bei Elektronikprodukten durch Reparatur weiter zu verbessern. Dazu kann ich sagen, dass auch hier die Demontierbarkeit der einzelnen Produktkomponenten wichtig ist, um Reparaturen zu ermöglichen, Neuerungen auch nachträglich noch einbauen zu können und letztendlich die Recyclingfähigkeit zu erhöhen.
Inwiefern kann die Zirkuläre Wertschöpfung als Wirtschaftsform eine Lösung für mehr Nachhaltigkeit sein?
Heike Wulf: Die Zirkuläre Wertschöpfung kann einen großen Beitrag zur Produktivität von Rohstoffen und für den Klimaschutz leisten. Wenn ich etwas zirkulär nutzen kann, dann muss ich es nicht herstellen und verbrauche so kein Material und keine Energie. Hersteller sollten meiner Meinung nach bis zum Ende eines Produktlebenszyklus eine Verantwortung für ihr Produkt haben. Bestenfalls sollte die Umsetzung von Maßnahmen, die die Zirkularität von Produkten erhöht, in Geschäftsmodelle integriert sein. Das bedeutet, dass Unternehmen beispielsweise einen eigenen Reparaturservice anbieten, sodass Langlebigkeit auch wertschöpfend ist. Außerdem bieten wir interessierten Unternehmen einen Tech-Check an: Dieser hilft dabei, eigene Ansatzpunkte für Zirkuläre Wertschöpfung zu erfassen. Nach einer Ist-Analyse identifizieren wir mit ihnen individuelle Handlungsfelder und entwickeln gemeinsam potenzielle Lösungsansätze.
Wie können sich Unternehmen zu den Themen Recycling, Abfallvermeidung und Circular Economy informieren?
Heike Wulf: Wir haben bei InCamS@BI eine Wissensbasis auf unserer Website angelegt. Dort kann man sich als Unternehmensvertreterin oder Unternehmensvertreter zum Thema Circular Economy informieren. Wir haben uns bemüht, alle Informationen zu den R-Prinzipien übersichtlich und verständlich aufzubereiten. Zukünftig findet man dort auch eine Wissensbasis zum Thema Kunststoffe.
Bei InCamS@BI wird auch viel Wert auf die Zusammenarbeit mit Unternehmen aus dem Bereich der Kunststoffe gelegt. Eine Austauschmöglichkeit bieten da zum Beispiel die sogenannten Expert Panels. Was genau ist das? An wen richtet sich das Format?
Heike Wulf: Unsere Expert Panels richten sich an Vertreterinnen und Vertreter aus den Unternehmen und andere interessierte Personen. In einem vertraulichen Rahmen werden aktuelle Forschungen sowie Anwendungsmöglichkeiten oder Neuentwicklungen diskutiert. Dabei geht es zum Beispiel um rechtliche Fragen, um Produktentwicklungen oder Erfahrungen von Nutzerinnen und Nutzern. Unser Ziel im Projekt ist es, Praxis und Wissenschaft in ständigen Austausch zu bringen. Dieser Transfer ist meiner Meinung nach entscheidend für unseren Industriestandort. Das Wissen der Hochschulen muss in die Anwendung kommen. Außerdem ist der Austausch mit der Wirtschaft für eine bedarfsgerechte, wissenschaftliche Forschung wichtig.
Zu welchen Themen gab es bisher Expert Panels und welche sind zukünftig noch geplant?
Heike Wulf: Das erste Expert Panel hat im vergangenen Sommer im Rahmen des „Innovationsforums“ unserer Forschungsgruppe Innovationsmanagement zum Thema „Open Innovation im Mittelstand“ stattgefunden. Bei der zweiten Veranstaltung des Innovationsforums ging es um Innovation in KMUs.
Kürzlich hat unsere Forschungsgruppe Zirkuläre Wertschöpfung außerdem ein Expert Panel zum Thema „Circular Economy in der Unternehmensstrategie“ veranstaltet. Dieses Panel war in drei Termine aufgeteilt. Zunächst ging es um die Analyse der Wertschöpfungskette von Unternehmen. Beim zweiten Termin haben wir uns mit der Nachhaltigkeitskommunikation aus wirtschaftspsychologischer Sicht und dem Thema „Green Claims“ beschäftigt. Beim dritten und letzten Termin ging es um Circular Economy in Unternehmensstrategien aus wirtschaftsrechtlicher Perspektive. Das nächste Expert Panel ist beim „Innovation Festival“ auf dem Campus Bielefeld im September geplant.
Kontext
Expertinnen und Experten der Hochschule Bielefeld haben eine Wissensbasis Circular Economy erarbeitet und diese mit Theorie- und Praxiswissen hinterlegt. Hier geht es u. a . um die Grundlagen der Circular Economy von den Grundprinzipien über die R-Prinzipien bis hin zur Nutzung regenerativer Energien. Zusätzlich werden bestehende Konzepte kritisch hinterleuchtet sowie aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen und Erkenntnisse eingebunden. Ergänzt wird die Informationsplattform Außerdem sind interessante Verknüpfungen zu Alltag, Industriepraxis und Forschung zu finden.
Weitere Informationen: www.hsbi.de/incamsbi/wissensbasis-circular-economy