Qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind eine wichtige Basis für den nachhaltigen Unternehmenserfolg. Wie in Zeiten demografischer Veränderungen und wirtschaftlicher Herausforderungen eine zukunftsorientierte Personalstrategie aussehen kann und welche Rolle neue Technologien in der Personalentwicklung und im Recruiting spielen, erklärt Dr. Sascha Armutat, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personalmanagement und Organisation an der Hochschule Bielefeld (HSBI).
m&w: Herr Professor Armutat, viele Unternehmen reden über den Fachkräftemangel, gleichzeitig finden in einigen Betrieben Restrukturierungsmaßnahmen und Arbeitsplatzabbau statt. Eine paradoxe Situation, in der die Balance zwischen aktueller Wettbewerbs- und nach vorne gerichteter Zukunftsfähigkeit neu kalibriert werden muss. Wie können vor diesem Hintergrund zukunftsorientierte Personalstrategien aussehen?
Prof. Dr. Sascha Armutat: Diese Widersprüchlichkeiten sind ganz typisch für Umbruchzeiten: Wir erleben politische Unsicherheiten, eine konjunkturell angespannte Situation, mit generativer KI das Aufkeimen einer Technologie mit disruptiver Kraft und Werteveränderungen bei den heranwachsenden Generationen zukünftiger Mitarbeitender. Ein „weiter so“ gibt es für die meisten Unternehmen nicht: Sie müssen ihre Geschäftsmodelle anpassen, ihre Operating Models justieren und sich der Frage stellen, mit welcher Belegschaft sie in die Zukunft gehen müssen. Wenn man den Personalbestand mit dem zukünftigen Personalbedarf vermittelt, führt das unweigerlich zu den von Ihnen angesprochenen Paradoxien: Personalreduktion in Tätigkeitsfeldern, die nicht auf die zukünftige Strategie einzahlen, Personalaufbau in zukunftsorientierten Bereichen. Wichtig für die Personalstrategie ist in solchen Zeiten dreierlei: Erstens und vor allem ist es für das betriebliche Personalmanagement wichtig, sich überhaupt strategisch zu positionieren und eine mit der Unternehmensstrategie harmonisierte Personalstrategie zu entwickeln. Zweitens gilt es in dem Rahmen mithilfe einer strategischen Personalbedarfsbestimmung zu klären, welches Personal mit welchen Kompetenzen zukünftig benötigt wird. Und drittens muss die Personalstrategie inhaltlich die Transformation in den Fokus nehmen und dabei vor allem die notwendige Vermittlung des Routinegeschäfts und die Veränderungsbemühungen im Sinne einer gelebten Ambidextrie.
m&w: Was können Unternehmen tun, um gute Talente zu halten?
Prof. Dr. Sascha Armutat: Wer die eigenen Talente binden will, muss zuerst wissen, was ein Talent kennzeichnet, wer ein Talent ist und was die Talente erwarten. Diese Kenntnis ist elementar für jedes Bindungsprogramm. Dann geht es darum, zielgruppenadäquate Erlebnisse zu schaffen durch die eingesetzten Personalmaßnahmen: passende Anreizsysteme, individuelle Personalentwicklung, Mitmachmöglichkeiten im Prozess der Arbeit und vieles mehr. Eine McKinsey Studie hat 2022 herausgearbeitet, dass unter anderem ein starker Purpose, flexible Arbeitsbedingungen, die Berücksichtigung von Gesundheit und Wohlbefinden und die gelebte Führung einen Einfluss auf die Bereitschaft zu bleiben hat. Das gilt es durch das Personalmanagement zu fördern. Dabei ist etwas Wichtiges zu beachten: Wir haben vor einigen Jahren in einer Studie herausgefunden, dass es bei allen Maßnahmen, die das Personalmanagement für die Bindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsetzt, auf dreierlei ankommt: Transparenz und Fairness beim Einsatz, Wertschätzung in der Vermittlung und Wahrnehmbarkeit durch gute Kommunikation.
m&w: Wie lassen sich neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen, insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung?
Prof. Dr. Sascha Armutat: Auch bei der Gewinnung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielt die Zielgruppenkenntnis und die Schaffung positiver Arbeitgebererlebnisse eine wichtige Rolle. Nur wenn ich die „Triggerpunkte“ der Bewerberinnen und Bewerber kenne, kann ich mit meinen Arbeitsbedingungen angemessen reagieren. Voraussetzung für eine professionelle Rekrutierung ist allerdings die starke Arbeitgebermarke, die jedes Unternehmen für sich definieren und zur Grundlage der Kommunikations- und Personalmaßnahmen machen muss. Nur wenn die Karriereseite, die Stellenanzeige und das Sourcing-Gespräch die Arbeitgebermarke atmet und Bewerberinnen und Bewerber diese Marke wiedererkennen, wenn sie auf Mitarbeitende des Unternehmens treffen, wird aus der Bewerberkommunikation eine authentische Arbeitgeberbegegnung.
„Bei der Gewinnung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielt die Zielgruppenkenntnis und die Schaffung positiver Arbeitgebererlebnisse eine wichtige Rolle.“
m&w: Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die Arbeitswelt enorm zu verändern. Wie können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier mitgenommen und motiviert werden, um die Veränderungen und Prozesse mitzutragen?
Prof. Dr. Sascha Armutat: Das ist ein zentrales Zukunftsthema für alle Unternehmen. Wir haben im Rahmen eines Transferprojektes im Kontext der Initiative „Arbeitswelt plus“ ein Vorgehensmodell entwickelt, das bei einer Status-quo-Bestimmung der individuellen Vorkenntnisse und des digitalen Mindsets ansetzt und zugleich die strategische und kulturelle Verankerung des Themas analysiert. Auf dieser Basis lassen sich zum einen konkrete KI- und Digitalisierungsprojekte ableiten, zum zweiten ergeben sich Ansatzpunkte für konkrete KI-bezogene Kompetenzentwicklungsbedarfe. Beides lässt sich dann integriert und differenziert begleitet umsetzen: So wird in den Projekten das vermittelte Wissen gleich genutzt. Flankiert werden muss dieses Vorgehen durch Sensibilisierungsveranstaltungen, in denen über KI, ihre Funktionsweise und ihre Nutzenpotenziale informiert wird. Dabei kann es sinnvoll sein, Führungskräfte und Mitarbeitende separat anzusprechen. Mit diesem Modell haben wir in Pilotprojekten gute Erfahrungen gemacht.
m&w: Der Umgang mit KI verlangt neue Kompetenzen und die Bereitschaft, sich neues Wissen anzueignen. Welches Vorgehen empfehlen Sie Unternehmen?
Prof. Dr. Sascha Armutat: Zuerst müssen Unternehmen KI-bezogene Kompetenzen in ihre Kompetenzarchitektur integrieren. Dafür gibt es viele Unterstützungsmöglichkeiten und Orientierungen, unter anderem die Kompetenzarchitektur der „Denkfabrik Digitalisierte Arbeitswelt“, die ebenfalls im Rahmen der Initiative „Arbeitswelt Plus“ entwickelt wurde. Wenn man diese Vorarbeit geleistet hat, gilt der bereits beschriebene Dreier-Grundsatz bei der Einführung: schulen, machen, sensibilisieren.
m&w: Stichwort Recruiting: Wie können digitale Tools den Prozess unterstützen?
Prof. Dr. Sascha Armutat: Die Rekrutierung ist aktuell der Bereich des Personalmanagements, der am intensivsten durch digitale Tools und KI unterstützt wird. Ob es beispielsweise um die Erstellung von Anforderungsprofilen, das Verfassen und Überprüfen von Stellenanzeigen, das Tracking von potenziellen Kandidaten, die die Karriereseite besuchen, oder auch um die Identifikation von interessanten potenziellen Kandidatinnen in sozialen Medien geht – jeder Teilprozess der Rekrutierung lässt sich mittlerweile digital substituieren. Ob und wenn ja, bis zu welchem Punkt der Einsatz digitaler Tools und KI für ein Unternehmen sinnvoll ist, muss von jedem Unternehmen mit Blick auf die anfangs erwähnte gewollte Employee Experience entschieden werden.
m&w: Welche digitalen Möglichkeiten gibt es in der Personalentwicklung von Beschäftigten?
Prof. Dr. Sascha Armutat: Auch in der Personalentwicklung gibt es mittlerweile einige Einsatzmöglichkeiten für KI-gestützte Tools. Das beginnt mit der Bildungsbedarfsanalyse, geht über die Auswahl individueller Kompetenzentwicklungsformate und endet bei der Erfolgskontrolle und dem Vorschlag weiterführender Vertiefungen. Zudem lassen sich KI-Tools für die didaktische Aufbereitung von Inhalten nutzen. Neben der Personalrekrutierung ist die Personalentwicklung ein weiteres Feld der Personalarbeit, für das es eine Vielzahl von KI-basierten Unterstützungstools gibt.