RESSOURCENSCHONENDES BAUEN

„Für ein optimales Gelingen müssen sich Angebot und Nachfrage matchen“

Ressourcenschonendes Bauen beginnt bereits bei der Materialauswahl. Warum sich ein Markt für gebrauchte Baumaterialien erst noch entwickeln muss und welche Hürden zu nehmen sind, erklärt Prof. Dr.-Ing. Sabine Flamme von der FH Münster, Fachbereich Bauingenieurwesen.   

In den letzten Monaten konnte man öfter von Bau- und Sanierungsprojekten lesen, bei denen gebrauchte Materialien zum Einsatz kamen. Was bedeutet das für die Branche und wie konsequent lassen sich bereits genutzte Baumaterialien tatsächlich einsetzen?
Dr. Sabine Flamme: In der Tat gibt es konkrete Projekte, die zeigen, dass es möglich ist. Die Abfallwirtschaftsbetriebe Münster (awm) haben auf ihr vorhandenes Gebäude ein Stockwerk aufgesetzt und dabei überwiegend gebrauchte Materialien verwendet. So wurden zum Beispiel für die Innenausstattung wiedergewonnene Glastrennwände sowie gebrauchtes Konstruktionsholz verwendet.
Bei öffentlichen Immobilien wie Schulen wird zum Beispiel bei Rückbau- oder Sanierungsvorhaben geplant und bereits umgesetzt, alte Ziegel zu entfernen, aufzuarbeiten und anschließend für die Gestaltung der Fassade zu nutzen. Auch die Anbringung von gebrauchten Fassadenelementen und die Nutzung von R-Beton wird immer mehr nachgefragt.
Ich beobachte generell an verschiedenen Stellen die Bereitschaft, sich der Thematik zu stellen, auch wenn das noch nicht flächendeckend fester Bestandteil von Planungen ist.

Wo liegen die größten Hürden, die Bauherren und Planer zu bewältigen haben, wenn sie gebrauchte Materialien einsetzen möchten? 
Dr. Sabine Flamme: Für ein optimales Gelingen müssen sich u. a. Angebot und Nachfrage matchen. Das ist momentan noch nicht der Fall. Wir haben gerade einen Forschungsantrag abgegeben, der genau diesen Baustein adressiert. Wenn wir den Zuschlag erhalten, werden wir an einer Lösung arbeiten, mit der so ein Matching regional möglich ist. Für aktuelle Angebote gibt es zum Beispiel bereits eine Online-Plattformen von Concular.  

Es geht aber auch darum, dass die gewünschten Materialien zu dem Zeitpunkt, wenn sie gebraucht werden, am besten regional verfügbar sind. Vorstellbar wäre zum Beispiel, Baumärkte für gebrauchte Materialien einzurichten. In Berlin gibt es bereits den „Berlin Urban Mining Hub“. Das würde die Beschaffung für die Planenden erheblich verbessern, weil sie sich dann die benötigten Materialien sichern und direkt im Bauvorhaben berücksichtigen können.

Es gehört also auch ein wenig Glück dazu, die passenden Materialien zu finden. Der Kauf neuer Materialien ist da um einiges einfacher.
Dr. Sabine Flamme: Derzeit ist es tatsächlich noch einfacher, mit neuen Materialien zu arbeiten. Man bestellt das, was man benötigt. Hier kann es höchstens zu  Lieferengpässen kommen. 
Bei gebrauchten Baumaterialien sind die Herausforderungen wesentlich größer. Vereinzelt lassen sich jedoch Aktivitäten beobachten, die dem ressourcenschonenden Sanieren und Bauen einen Schub geben könnten. Positiv zu erwähnen ist hier die Firma Lindner, die für den Innenausbau Angebote von Decken-, Boden- und Wandprodukten aus gebrauchten Materialien geschaffen hat. Der Kunde kann entweder mit einer Rücknahmegarantie Neuware kaufen oder auch gebrauchte Produkte erwerben. Wir konnten im Rahmen eines Projektes zeigen, dass sich neben Material und CO2 auch noch Kosten einsparen lassen. Hier kommt ein Kreislauf in Schwung, sodass das Angebot künftig größer wird. Es braucht weitere Unternehmen, die ähnliche Geschäftsmodelle anbieten.

Ein Blick in die Praxis: Wie groß ist der Anteil von Gewerbe- / Industriegebäuden, die heute schon unter ressourcenschonenden Gesichtspunkten gebaut werden?
Dr. Sabine Flamme: Hier gibt es keine genauen Zahlen. Ich sehe jedoch die Tendenz, dass nachhaltiges Bauen eine immer größere Bedeutung gewinnt. Allein die Aktivitäten, die unternommen werden, um Gewerbeimmobilien nach DGNB-Vorgaben zu zertifizieren, zeigen, dass Bauherren gewillt sind, diesen Aspekt von vornherein bei der Planung zu berücksichtigen.
Auch in Diskussionen mit Projektierern, Architekten und Investoren wird deutlich, dass die Anforderungen an Gebäude im Hinblick auf die Ressourceneffizienz immer höher werden. Beim späteren Verkauf eines Gebäudes spielen nachhaltige Gesichtspunkte eine wichtige Rolle. Außerdem führen sie zu einer Wertsteigerung.
Die Spezialisten sind sich auch darin einig, dass der Einsatz gebrauchter Materialien ein weiterer Pluspunkt ist, da sich so die CO2-Bilanz des Gebäudes reduzieren lässt und eine bessere Bewertung bei der Zertifikatsvergabe möglich ist.
Im Rahmen der Förderung Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG) der Bundesregierung werden ebenfalls bereits Nachweise zum Ressourceneinsatz und zur Bewertung der Rückbau- und Recyclingfähigkeit gefordert, um in den Genuss finanzieller Unterstützung zu gelangen. 
Es wird also vielerorts über ressourcenschonendes Bauen als Alternative zum klassischen Bauen nachgedacht. Hier kann mit gebrauchten Materialien gearbeitet werden oder auch erst einmal mit rückbau- und recyclingfähigen Konstruktionen.  

Wieviel CO2-Emissionen lassen sich gegenüber dem Einsatz vergleichbarer Neuteile durch recycelte Materialien bei dem Bau eines Gebäudes einsparen und wo liegen die weiteren Vorteile?
Dr. Sabine Flamme: Eine schwierige Frage, weil die CO2-Emissionen je nach Material variieren. Je mehr Energie bei der Herstellung eines Materials über den Lebenszyklus benötigt wird, desto mehr graue Energie ist darin gebunden und desto wichtiger ist es diese lange zu nutzen. Das ist auch ein Treiber, weshalb gebrauchte Materialien einen immer größeren Stellenwert bekommen.
Ein weiterer Schub könnte von der neuen Kreislaufwirtschaftsstrategie ausgehen, die derzeit auf Bundesebene im Entwurf vorliegt. Sie sieht vor, generell Gebäude auch hinsichtlich der grauen Energie der Materialien zu bewerten. Solche Maßnahmen und mögliche weitere CO2-Bewertungskriterien im Baubereich können die Entwicklung eines Marktes für gebrauchte Baumaterialien beschleunigen.
Auch im Hinblick auf die Herstellung neuer Materialien muss ein Umdenken dahingehend stattfinden, dass bereits bei der Produktion eine spätere Wiederverwendbarkeit Berücksichtigung findet. Künftig sollte vor diesem Hintergrund mehr mit Standardgrößen, in einer Art Baukastensystem gearbeitet werden. Das muss nicht das Ende von Individualität bedeuten. Über intelligente Lösungen wie Andockstücke lassen sich auch Maßanfertigungen umsetzen. Hier sind innovative produzierende Unternehmen gefragt.

Ressourcensparend und nachhaltig bauen bzw. umbauen, damit tun wir uns heute immer noch schwer. Wo liegen noch die größten „Bremsklötze“?
Dr. Sabine Flamme: Neben dem bereits erwähnten Matching von Angebot und Nachfrage, das flächendeckend zur Verfügung stehen muss, sehe ich auch in dem fehlenden Wissen einen entscheidenden Grund. Ich glaube nicht, dass alle, die in der Planung tätig sind, die Thematik im Blick haben. In unseren Studiengängen legen wir deshalb verstärkt den Fokus auf diese Themen.

Und wie sieht es mit der Umsetzung der zirkulären Wertschöpfung im Bausektor selbst aus? Was muss hier noch getan werden?
Dr. Sabine Flamme: Die Bauwirtschaft gehört zu den Branchen mit dem größten Ressourcenverbrauch. Das erfordert also regelrecht eine zirkuläre Wertschöpfung, wenn wir davon ausgehen, dass Ressourcen nicht unendlich zur Verfügung stehen. Das Potenzial ist groß, da sich durch Wiederverwendung und Recycling von Bauprodukten nicht nur Materialien, sondern auch Energie einsparen lassen.
Im Entwurf der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie ist verankert, bei der Planung eines Neubaus gleichzeitig auch ein Rückbaukonzept zu entwickeln. Es soll also am Anfang auch das Ende des Bauwerks mitgedacht und Voraussetzungen geschaffen werden, alle Daten verfügbar zu halten, damit später nachvollziehbar ist, was genau wo verbaut wurde.

Ich bin überzeugt, dass eine Planung, in der der Endpunkt des Gebäudes berücksichtigt wird, der richtige Weg ist. Auf diese Weise gelangt man zu anderen Konstruktionen, anderen Verbindungen, zu einer anderen Materialauswahl und zu anderen Produkten, die möglicherweise reparierbar und rückbaufähig sind. Das erfordert jedoch eine integrale, interdisziplinäre Planung.
In unseren Studiengängen bereiten wir die Studierenden auf diesen neuen Ansatz vor. Sie lernen vom Ende des Gebäudes und erkennen, was sie in der Planung besser machen können. Ein anderes Modul fokussiert den Rückbau als Ressource. Hier beschäftigen wir uns damit, wie verbaute Teile von Gebäuden wiederverwendet und wo sie eingesetzt werden können. 

Wie lässt sich das Interesse ressourcenschonend zu bauen, besonders auch für Unternehmen erhöhen?
Dr. Sabine Flamme: Es gibt keinen Grund, nicht ressourcenschonend zu bauen. Welcher Bauherr möchte nicht die Werthaltigkeit erhöhen, CO2-Emissionen reduzieren und möglicherweise auch Kosten sparen.
Um aufseiten der Planer die Motivation für ressourcenschonendes Bauen zu erhöhen, müsste dieser Aspekt Teil der geforderten Planungsleistungen werden und auch die rechtliche Lage beim Einsatz von gebauchten Materialien muss abgesichert werden. Darüber haben wir bisher noch gar nicht gesprochen.

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