Die Zahl von Frauen, die ein Startup gründen, liegt auf einem permanent niedrigen Niveau. Zu viele Barrieren versperren den Frauen den Weg. Damit verzichtet die Wirtschaft auf wertvolles Potenzial.
Nadine Dyck ist keine klassische Gründerin und hatte eigentlich auch nie vor, sich beruflich selbstständig zu machen. Dass sie dennoch vor vier Jahren ihre Startup KnowOngründete, ist einem Zufall zu verdanken. Die Arzthelferin, die ihre Ausbildung in einer Augenarztpraxis absolvierte, hatte das Glück, während ihrer Lehre fundiertes Wissen vermittelt zu bekommen. „Das ist leider nicht die Regel. Ich habe, nachdem der Mediziner aus Altersgründen seine Praxis verkauft hatte, in anderen Praxen gearbeitet und festgestellt, dass es hier bei der Wissensvermittlung sehr große Defizite gibt. Die Berufsschulen können diese Lücke nicht schließen, weil der Lehrplan sich auf die Allgemeinmedizin fokussiert. Das fachspezifische Wissen muss man in der Praxis erlernen“, blickt Nadine Dyck zurück, die zusätzlich auch ein Betriebswirtschaftsstudium im Gesundheitswesen absolviert und als Beraterin für Augenarztpraxen gearbeitet hat. „Ich habe dort den Auszubildenden erklärt, wie das menschliche Auge funktioniert und fachspezifisches Wissen vermittelt.“ Mit dem Beginn der Corona-Pandemie war dann Schluss. Doch das Thema habe sie nicht mehr losgelassen und so sei die Idee entstanden, ihr Wissen auf eine Plattform zu bringen, digital zu qualifizieren und die Auszubildenden von Augenarztpraxen drei Jahre lang zu begleiten. Durch die Bereitstellung von kleinen Lernpaketen sollten sich die Azubis Schritt für Schritt Wissen aneignen, sodass sie am Ende der Ausbildung absolute Experten in ihrem Fach sind. Mittlerweile hat Dyck ihre Plattform weiterentwickelt, längst adressiert sie nicht nur Auszubildende, sondern auch Quereinsteiger und das gesamte Praxisteam. „Wir decken mittlerweile die gesamte Aus- und Weiterbildung für Augenarztpraxen ab“, sagt die Gründerin, die seit einem Jahr eine Vollzeitmitarbeiterin und einige Minijobberinnen beschäftigt. Die ersten Kunden waren meist größere Praxen, die zu sogenannten Augenketten mit mehr als einhundert Standorten gehören und die ihr ein sicheres Standbein verschafft haben.
Nadine Dyck sagt aber auch, dass es eine enorme Anstrengung gewesen sei und sie es sich einfacher vorgestellt habe. „Ich hatte so gut wie keine Erfahrung. Die Themen wie Buchführung und Steuern waren mir fremd“, sagt Dyck, die zudem noch alleinerziehende Mutter zweier Kinder ist. Erst durch ihren Einzug ins Gründerzentrum in Minden änderte sich ihre Situation. Der Austausch mit Gleichgesinnten habe sie vorangebracht. Dyck beantragte ein Gründerstipendium, kam darüber zur Hochschule Bielefeld und später zur garage33 nach Paderborn, wo sie wertvolle Unterstützung erhielt.
Deutschland kann es sich nicht leisten, auf das Potenzial von Frauen zu verzichten. Sie sind die größte stille Reserve unseres Landes.
Und auch heute blickt sie mit Respekt auf das, was sie geschaffen hat. Ein Unternehmen zu gründen, ist unsicher, das Risiko zu scheitern, groß. Mit dieser Meinung steht Nadine Dyck nicht allein. Es gibt viele Frauen, die ähnlich denken und deshalb erst gar nicht in Erwägung ziehen, sich beruflich auf eigene Füße zu stellen. Das zeigen die aktuellen Zahlen des Startup-Verbands, der den Anteil von Frauen an Startup-Gründenden bei nur 19 Prozent beziffert und auf einen leichten Rückgang im vergangenen Jahr verweist. Die größten Probleme seien: zu wenig Impulse im Bildungssystem, Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Beruf sowie fehlende Zugänge zu relevanten Netzwerken.
Der Gendergap in der Startup-Welt hat seine Wurzel bereits in frühen Lebensphasen, weil es an Vorbildern fehlt und das Bildungssystem bestehende Muster nicht ausreichend aufbricht. Ein weiterer Bremsfaktor für Gründerinnen sind die Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Unternehmertum. Hier stehen die Frauen weiterhin vor strukturellen Barrieren. „Deutschland kann es sich nicht leisten, auf das Potenzial von Frauen zu verzichten. Sie sind die größte stille Reserve unseres Landes“, sagt Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende des Startup-Verbandes. „In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation brauchen wir alle, die unsere Wirtschaft nach vorne bringen. Startups sind entscheidend, um neue Impulse zu setzen und wieder Dynamik zu entfalten. Mehr Gründerinnen bedeuten mehr Innovation in Deutschland.“
Gendergap öffnet sich schon früh
Tradierte Rollenbilder beeinflussen die Karrierepräferenzen junger Menschen – und stellen bereits in der Jugend und im Studium die Weichen für den Gendergap im Startup-Ökosystem. Laut dem Founders Female Monitor 2025 von Startup Verband und Bertelsmann Stiftung haben rund zwei Drittel der Startup-Gründer in Deutschland den Plan einer Gründung bereits als Jugendliche oder während des Studiums gefasst. Bei den Frauen liegt der Anteil mit 43 Prozent deutlich niedriger.
Frauen setzen mit Blick auf ihren zukünftigen Job bereits im Studium andere Prioritäten als Männer. So streben 60 Prozent der Studentinnen einen sicheren Arbeitsplatz an, während das nur für 32 Prozent der männlichen Studierenden eine wichtige Rolle spielt. Das zeigt, wie gesellschaftliche Erwartungen das Risikobewusstsein von Frauen und Männern unterschiedlich prägen. Das führt dann dazu, dass Frauen seltener früh den Weg in Richtung Startup gehen.
Lernen und mutig auftreten
Dass es Frauen schwerer haben, glaubt Dyck zwar nicht, dennoch hat sie festgestellt, dass die Dominanz von Männern in der Startup-Szene sich auch auf Frauen auswirkt. „Viele junge Gründer, die von der Universität kommen, sind sehr selbstbewusst, zielstrebig und wollen einen schnellen Erfolg. Ich bin da wesentlich vorsichtiger und reflektiere erst einmal bevor ich mich entscheide. Wahrscheinlich trauen sich Männer eher als wir Frauen, an die große Vision zu denken. Da muss man lernen, mit ihnen klarzukommen und mutig aufzutreten“, berichtet Dyck von ihren Erfahrungen. Nicht sehr gut in Erinnerung hat sie den Kontakt zu zwei älteren Herren, die ihr Unternehmen kaufen wollten. „Wenn ich reflektiere, wie sie sich mir gegenüber verhalten haben, da habe ich mich schon gefragt, ob sie mich auch so behandelt hätten, wenn ich ein Mann wäre. Erlebnisse wie diese habe ich auch von anderen Frauen gehört, die Ähnliches erlebt haben. Da braucht man mentale Stärke.“
Auch das Fehlen von Vorbildern sei für sie ein Faktor gewesen, sich nicht mit der beruflichen Selbstständigkeit zu beschäftigen. „Ich komme nicht aus einer Unternehmerfamilie, hatte zu wenige unterstützende Kontakte. Das war auch ein Grund, der dazu geführt hat, dass mein bisheriger Weg eher beschwerlich war“, so Dyck, die zurzeit ein einjähriges Mentoring-Programm absolviert und von einer erfahrenen Mentorin begleitet wird. „Den Austausch mit dieser Frau, die schon zwei Schritte weiter ist als ich, empfinde ich als sehr wertvoll.“
Gründerinnen zu unterstützen und ihnen den Weg zu ebnen, ist auch für Julia Scheerer, Wirtschaftsexpertin der Bertelsmann Stiftung, eine wichtige Gemeinschaftsaufgabe. Frauen würden durch fehlende Vorbilder und Stereotype gebremst. Politik, Investorinnen und Investoren, aber auch das gesamte Startup-Ökosystem seien gefordert, für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen. „Denn eines ist klar: Mehr Gründerinnen bedeuten mehr Innovation – und mehr Innovation brauchen wir für eine erfolgreiche Zukunft.“
Nadine Dyck will ihren Weg weitergehen. Sie hat ihr Geschäftsmodell erweitert und möchte künftig auch die Ausbildung in sieben weiteren medizinischen Fachrichtungen vorantreiben. Kontakte zur Ärztekammer gibt es bereits. Um weiter zu wachsen, ist sie auch auf Fremdkapital angewiesen. Bisher sei sie ohne dieses ausgekommen. Auch hier gibt es Hürden: „Da ich Einzelgründerin bin, ist es schwierig. Die meisten Investoren interessieren sich für Startups mit mehreren Gründern, weil sie glauben, dass diese seltener scheitern“, erklärt Dyck ihre Probleme. Dennoch rät sie allen Frauen, die eine gute Geschäftsidee haben, diese auf jeden Fall umzusetzen. „Das Wichtigste ist es, sich zu vernetzen, andere Menschen kennenzulernen, die einem an irgend einer Stelle weiterhelfen können.“