Das Familienunternehmen WAGO hat ein neues Ausbildungszentrum gebaut. Damit sichern sich die Mindener nicht nur ihren Fachkräftenachwuchs, sie übernehmen auch gesellschaftliche Verantwortung.
Seine Architektur ist markant, viel Glas macht das Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zum Headquarter des Mindener Unternehmens WAGO aus: Wer sich in das neue Ausbildungszentrum begibt, der gelangt nicht direkt in das Herz des Hauses – den technischen Bereich. Vom Eingangsbereich geht es zunächst in den ersten Stock, dann in die Plaza, die mit einladenden Sitzmöbeln zum Verweilen einlädt. Es folgt ein großer Ausstellungsbereich, in dem alle WAGO-Produkte direkt erlebbar sind, und dann erst führt der Weg in die Werkstatt.
„Je weiter man in das Gebäude geht, desto tiefer dringt man in die Technik ein“, sagt Thomas Heimann, seit dreizehn Jahren Leiter Ausbildung International bei WAGO. Das neue Ausbildungszentrum, das zusätzlich über Labore, Kreativräume und eine Mensa verfügt, begeistert nicht nur ihn, sondern auch die gut 250 Auszubildenden und Studierenden, die hier ihre ersten beruflichen Schritte gehen. Viel Raum für die Begegnung und den Austausch, das ist das Besondere dieses Gebäudes, in dem nun alle unter einem Dach sind. Lange Zeit waren die technischen und kaufmännischen Auszubildenden und die Studierenden an drei verschiedenen Orten getrennt – kaum Chancen, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Für die Planung des gut 3.500 Quadratmeter großen Gebäudes hatte der Verbindungs- und Automatisierungsspezialist das Herforder Architekturbüro Pape beauftragt, das bei der Entwicklung des Konzepts seinen eigenen Auszubildenden und seine Emotionen und Wünsche ganz konkret einbezogen hat. Kaum jemand weiß besser als er, was die sogenannte Generation Z wünscht und welche Ansprüche sie an ihren Arbeitsplatz stellt.
Didaktische Fragestellungen und die Auseinandersetzung mit veränderten Lernwelten sind ebenfalls in die Planungen des gut sechs Millionen Euro teuren Projekts eingeflossen, die größte Einzelinvestition in die Ausbildung in der Unternehmensgeschichte.
„Lernen findet nicht mehr nur am Schreibtisch oder an der Werkbank statt“, sagt Ausbildungsleiter Heimann,
und deshalb seien die jungen Menschen gefragt worden, wie sie sich Wissen aneignen. In der neuen Mediathek haben sie Zugang zu Fachliteratur, hier können sie sich über Programmiersprachen, elektronische Grundlagen sowie über Werkzeug- und Metallkunde informieren. Und das in einer lockeren und inspirierenden Umgebung. Im gemütlichen Sessel oder auf dem Sofa entspannt im Fachbuch oder auf dem IPad lesen, das kommt bei vielen Berufseinsteigern extrem gut an. Das fördert die Motivation, so lernt es sich entspannt und erleichtert die Wissensaneignung. Thomas Heimann weiß, dass so ein Lernen im Produktionsumfeld selbstverständlich nicht immer möglich ist, betont aber auch, dass künftig mit weiteren Veränderungen in der Lern- und Arbeitswelt zu rechnen ist.
„Wir bilden die Fachkräfte der Zukunft aus, da müssen wir auch ein stückweit der Zeit voraus sein.“
Stolz verweist der Ausbildungschef auf die vielfältigen Möglichkeiten der modernen Ausbildungswerkstatt. In den sehr gut ausgestatteten Maschinenpark, der alle Fertigungsverfahren des Mindener Unternehmens widerspiegelt, wird regelmäßig investiert. Neben neusten Maschinen lernen die jungen Menschen auch die „älteren“ Anlagen kennen, um die Grundfertigkeiten zu erwerben. Nur so seien sie später in der Lage, High-End-Maschinen zu bedienen, betont Heimann, der auch auf die hohe Interdisziplinarität verweist: „Unsere technischen und kaufmännischen Auszubildenden und die Studierenden haben hier ideale Voraussetzungen, um gemeinsam in Gruppen zu arbeiten.
Für das neue Ausbildungszentrum hat das Familienunternehmen WAGO gut sechs Millionen Euro investiert. (Foto: WAGO)
Junge Menschen auszubilden, ist für WAGO ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des eigenen Fachkräftebedarfs. Das ist das Mindset, die HR-Leitung und Geschäftsleitung leben, wie WAGO-CEO Dr. Heiner Lang zur offiziellen Eröffnung des neuen Ausbildungszentrums betonte:
„Wir gestalten und erleben im Ausbildungszentrum gemeinsam Zukunft und investieren in das Wertvollste, was ein Unternehmen ausmacht – seine Menschen. Wer, wenn nicht die Auszubildenden haben hier besondere Beachtung und Fürsorge verdient, denn sie sind es, deren Zukunft unser aller sein wird.“
In den vergangenen dreizehn Jahren wurde die Ausbildungswerkstatt dreimal erweitert, zeitweise betrieb man am Standort Minden-Päpinghausen eine zweite Werkstatt, weil die Kapazitäten nicht reichten. „Wir waren uns schon lange im Klaren darüber, dass dies nur eine Übergangslösung sein kann und dass es Ziel sein muss, einen geeigneten Standort zu finden, wo neue Formen des Zusammenarbeitens möglich sind“, so Heimann. Vor gut drei Jahren habe man entschieden, in Päpinghausen einen Erweiterungsbau zu errichten und die Teile der Produktion vom Headquarter dorthin zu verlagern und so Platz für das Ausbildungszentrum zu schaffen. Hier können gut 20 verschiedene Berufsfelder im technischen und kaufmännischen Bereich erlernt werden. Ernsthafte Probleme, junge Menschen für den Start in die berufliche Zukunft zu gewinnen, hat WAGO keine.
„Wir zehren von unserer starken Präsenz in der Region. Als einer der größten Ausbildungsbetriebe in Ostwestfalen-Lippe und einer der größten Arbeitgeber im Industriesektor profitieren wir bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen. Die Quantität ist völlig in Ordnung“, sagt Heimann,
der in diesem Jahr einhundert junge Menschen für verschiedene Berufe eingestellt hat. Ein wenig bedenklich stimmt ihn allerdings das Wissensniveau der Berufseinsteiger. Die letzten drei Jahre hätten ihren Tribut gefordert, aus schulischer Sicht sei während der Corona-Pandemie einiges auf der Strecke geblieben. „Bei Tests in unseren Assessment-Centern stellen wir größere Defizite als früher fest, insbesondere bei den mathematischen Kenntnissen. Zwar sind die Schulnoten sehr gut, trotzdem können viele die Aufgaben nicht lösen. Diese Lücke müssen wir schließen“, so der Ausbildungsleiter. Auch hier hat WAGO vorgesorgt. Ingenieure im Unternehmen kümmern sich darum, indem sie wichtiges Basiswissen und mathematische Kenntnisse vermitteln.
Darüber hinaus beobachtet Heimann eine große Orientierungslosigkeit bei den Schülern. Durch Kooperationen mit den Schulen im Kreis Minden-Lübbecke bekommt er dieses zurückgespiegelt. Die fehlenden Praktika und Berufsmessen seien ein Grund für diese Situation. Deshalb habe WAGO während der Corona-Pandemie schon früh wieder Praktika unter Auflagen angeboten, um wenigstens eine gewisse Berufsorientierung anbieten zu können.
„Wir müssen schon eine Menge tun, um mit potenziellen Auszubildenden und Studierenden ins Gespräch zu kommen, damit wir unseren Stand halten. Das funktioniert nicht von allein.“
Diejenigen, die sich für den Beginn ihrer beruflichen Zukunft bei WAGO entscheiden, bleiben in der Regel auch nach Beendigung des Studiums oder der Ausbildung. „Die Übernahmechancen sind gut, jeder, der die Ausbildung absolviert und einen positiven Gesamteindruck hinterlassen hat, bekommt einen Anschlussvertrag. Wir verlieren nur wenige. Von hundert, die einsteigen, trennen wir uns von ein oder zwei jungen Menschen bereits während der Ausbildung, weil es nicht passt. Weitere drei stellen fest, dass sie einen anderen Beruf erlernen möchten. Und dann gibt es solche, die nach der Ausbildung feststellen, dass sie etwas anderes machen möchten. Diese Menschen können wir nicht halten“, so Thomas Heimann.
Potenziale sehen die Mindener auch in der sogenannten kooperativen Ausbildung. In Zusammenarbeit mit dem Kreis Minden-Lübbecke bietet das Familienunternehmen Menschen, die es im Leben bisher nicht leicht hatten, die Chance, eine zweijährige Ausbildung zu absolvieren.
„Uns ist es wichtig, Geflüchtete, Schulabbrecher oder Langzeitarbeitslose zu befähigen, sich ein selbstfinanziertes Leben aufzubauen“, beschreibt Heimann die Übernahme sozialer Verantwortung.
Die Resonanz dieser arbeitsmarktpolitischen Maßnahme sei sehr positiv. Neben einer guten Ausbildung lernen die jungen Menschen bei WAGO jedoch noch etwas ganz anderes: Um den eigenen Auszubildenden zu zeigen, wie privilegiert sie sind, wenn sie einen Beruf erlernt haben, müssen die jungen Frauen und Männer selbst erleben, was Bedürftigkeit bedeutet und die Mindener Tafel zwei Tage lang unterstützen. „Sie sollen selbst sehen, dass nicht alle Menschen ein sorgenfreies Leben führen können. Mit dieser Maßnahme möchten wir sensibilisieren und zur Reflexion motivieren. Dafür stellen wir unsere Auszubildenden gerne frei. Soziale Verantwortung zu übernehmen ist uns wichtig. Das ist keine Worthülse, das leben wir“, sagt Thomas Heimann.