Noch immer sind zu wenige Frauen in Führungspositionen tätig. Wo die Gründe liegen und warum ihre Leistungen für die Wirtschaft stärker hervorgehoben werden müssen, erklärt Claudia von Diepenbroick-Grüter, Leiterin des Kompetenzzentrums Frau und Beruf Münsterland.
Frau Diepenbroick-Grüter, Frauen machen 50 Prozent der Gesellschaft aus – doch in Führungspositionen und beim Einkommen sind sie nach wie vor benachteiligt. Wo liegen die Gründe für diese Situation?
Claudia von Diepenbroick-Grüter: Es gibt die Kompetenzzentren in NRW unter anderem deswegen, weil die Frauenerwerbstätigkeit zu gering ist. Gesellschaftliche Normen und strukturelle Barrieren behindern oft karrierefördernde Berufsverläufe. Zudem zögern Frauen aufgrund mangelnder Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sich für Führungspositionen zu bewerben. Zurückhaltung bei Berufskarrieren entsteht schon früh durch die Beeinflussung der Eltern und wird im weiteren Leben häufig durch die Gesellschaft reproduziert. Sie beeinflussen die Berufswahl und den weiteren Karriereverlauf der Kinder und insbesondere der Frauen. Ein weiterer struktureller Faktor ist, dass Männer häufig eher andere Männer empfehlen. Das liegt unter anderem daran, dass mehr Männer in höheren Positionen vertreten sind, in denen ein Aufstieg möglich ist. Zudem schätzen Frauen ihre eigenen Kompetenzen im Durchschnitt vorsichtiger ein als Männer. Dieses unterschiedliche Selbstbild kann mit ein Grund dafür sein, dass Frauen seltener in Führungspositionen vertreten sind und oft weniger selbstbewusst in Gehaltsverhandlungen auftreten.
Welche Impulse können Frauen für die Innovationskraft und Diversität des Unternehmens setzen?
Claudia von Diepenbroick-Grüter: Frauen bringen unterschiedliche Perspektiven in Teams und Unternehmen ein. Ihre Sichtweisen auf gesellschaftliche Themen und alltägliche Erfahrungen können Arbeitsprozesse ergänzen. Zusätzlich bereichern gemischte Teams jedes Unternehmen, da schneller Lösungen gefunden werden, wenn Probleme oder Arbeitsprozesse aus anderen Blickwinkeln betrachtet werden. Eine vielfältigere Zusammensetzung von Teams kann es Unternehmen zudem ermöglichen, unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen und so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
Warum und wie muss die Leistung von Frauen in der Wirtschaft stärker hervorgehoben werden?
Claudia von Diepenbroick-Grüter: Die Leistungen von Frauen in der Wirtschaft sollten sichtbarer gemacht werden, um ein breiteres Spektrum an beruflichen Werdegängen aufzuzeigen. Insbesondere jungen Menschen kann so vermittelt werden, wie vielfältig Karrierewege von Frauen sein können. Eine stärkere Sichtbarkeit kann dazu beitragen, das Interesse von Mädchen und Frauen an bestimmten Berufen zu fördern und langfristig dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Fachkräftemangel, Wertewandel, Wettbewerbsfähigkeit: Welche Bedeutung hat die Förderung, Weiterbildung, individuelle Unterstützung von Frauen in diesem Kontext?
Claudia von Diepenbroick-Grüter: Frauen werden immer wieder als sogenannte „Stille Reserve“ betrachtet. Sie arbeiten oft in Teilzeit oder gar nicht, weil durch Haushalt, Pflege und Kinderbetreuung die Arbeitsaufteilung kompliziert ist. Eine individuelle Unterstützung in Form eines Mentorings oder der Austausch in einem Netzwerk kann helfen. Die Förderung und Unterstützung von Frauen hat einen direkten Einfluss auf den Fachkräftemangel und die Wettbewerbsfähigkeit. Denn die Wirtschaft profitiert von neuen Blickwinkeln und innovativen Wegen der Zusammenarbeit.
Stichwort gleichberechtigte Karrierechancen und Unternehmenskultur: Wie müssen sich Unternehmen hier verändern bzw. öffnen?
Claudia von Diepenbroick-Grüter: Wenn Maßnahmen für familien- und frauenfördernde Personalpolitik umgesetzt werden, ist es sinnvoll, diese mit der Öffentlichkeit zu teilen. Zum Beispiel auf der Internetseite oder auf dem Social-Media-Auftritt. Ergänzend dazu lohnt es sich, den eigenen Betrieb auf mögliche unsichtbare Barrieren hin zu überprüfen, die Frauen von einer Bewerbung abhalten könnten. Solche Hürden zu erkennen und abzubauen, ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Chancengleichheit. Um langfristig die Karrierechancen im Unternehmen zu stärken, ist es entscheidend, die individuellen Bedürfnisse aller Mitarbeitenden in den Blick zu nehmen. Wer ihre Potenziale erkennt und gezielt fördert, schafft ein Arbeitsumfeld, das Vielfalt wertschätzt und Entwicklung ermöglicht.
Verschiedene Studien zeigen den Mehrwert diverser Teams: Wie sieht es in der Praxis aus?
Claudia von Diepenbroick-Grüter: Diversität umfasst viele Bereiche. Wenn wir nur auf Alt und Jung schauen, gibt es schon positive Effekte. Erfahrung und angstfreier Umgang mit neuer Technik ergeben ein erfolgreiches Team. Wenn dann noch der manchmal unterschiedliche Blickwinkel von Mann und Frau hinzukommt, kann es nicht schlechter werden. Der Abstimmungsprozess oder die Kommunikation ist sicher manchmal zeitintensiv, die Ergebnisse aber auf Dauer besser.
Wie unterstützt Ihr Kompetenzzentrum Frau und Beruf kleine und mittlere Unternehmen, eine familien- und frauenfreundliche Personalpolitik im Unternehmen zu etablieren?
Claudia von Diepenbroick-Grüter: Durch unser breit aufgestelltes Angebot an kostenlosen Online-Seminaren zu unseren Themenfeldern Rekrutierung, Karriereentwicklung und -förderung, familien- und lebensphasenorientierte Unternehmensführung und Diversity-Management sensibilisieren wir KMU für familien- und frauenfreundliche Personalpolitik. Auf unseren Präsenzveranstaltungen bieten wir Raum für KMU, sich untereinander auszutauschen oder mit Netzwerken ins Gespräch zu kommen.
Zusätzlich nutzen wir Social Media, um Beispiele für familien- und frauenfördernde Personalpolitik zu zeigen. Dazu gibt es Broschüren und aus den vergangenen Jahren auch unseren Podcast „Coffee to talk“. Die Broschüren zeigen unter anderem Vorbildfrauen aus dem Münsterland, eine Checkliste zum Thema Vereinbarkeit und Tipps, um ein attraktiver Arbeitgeber zu werden.