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Nachhaltig Bauen

„Die Nutzungsphase muss intensiv betrachtet werden“

Wie lassen sich Gebäude nicht nur nachhaltig und ressourcenschonend bauen, sondern auch betreiben? Die Betrachtung des gesamten Lebenszyklus ist nicht nur unumgänglich, sie birgt auch wirtschaftliche und ökologische Vorteile, wie Dipl.-Ing. Uwe Rotermund, Professor an der FH Münster, Fachbereich Architektur, Department Baumanagement, erklärt.

m&w: Herr Professor Rotermund, warum ist es heute unabdingbar, Planung, Ausführung und die spätere Nutzung, also den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu berücksichtigen?
Uwe Rotermund: Die Anforderungen an Nachhaltigkeit, Schadstoffausstoß, Wirtschaftlichkeit und Energieversorgung von Gebäuden sind sehr vielschichtig. Um ein Optimum in allen Bereichen erreichen zu können, muss eine Aufbereitung der Anforderungen und Sicherstellung der zielgerichteten Planung und Ausführung bereits ab der ersten Planungsstufe (der Grundlagenermittlung) zwingend und mit der notwendigen Expertise erfolgen.
Hierzu zwei Beispiele: Die Lebenszykluskosten (LZK) eines Gebäudes verteilen sich ca. zu 15 bis 20 Prozent auf die Gebäudeerrichtung und zu 80 bis 85 Prozent auf die Gebäudenutzung.
Die CO2-Emissonen verteilen sich zu 25 Prozent auf die Errichtung, insbesondere „graue Energie“, und zu 75 Prozent auf die Nutzungsphase. Bereits hieraus ist abzuleiten, dass die Nutzungsphase bzw. der Gebäudebetrieb intensiv betrachtet und auch geplant werden muss.

m&w: Fallen bei dieser Betrachtung nicht noch höhere Planungs- und Umsetzungskosten zu den schon hohen Baukosten an?
Uwe Rotermund: Nein, keinesfalls. Ein ökonomisches, nachhaltiges Gebäude muss nicht zwingend höhere Planungs- und Umsetzungskosten haben. Es kommt dabei im Wesentlichen darauf an, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Maßnahmen zu planen und einzuleiten. Höhere Planungs- und Umsetzungskosten können dann auftreten, wenn vermeidbare ad hoc-Entscheidungen getroffen werden müssen oder Wert darauf gelegt wird, das Gebäude hinsichtlich der Nachhaltigkeit zertifizieren zu lassen. Hier entstehen gegebenenfalls Bau-, Auditierungs- und Zertifizierungskosten.

m&w: Wo genau liegen die wirtschaftlichen und ökologischen Vorteile dieser ganzheitlichen Sichtweise?
Uwe Rotermund: Die wirtschaftlichen Vorteile machen sich in deutlich geringeren Nutzungskosten bemerkbar, eine Reduzierung um bis zu 40 bis 50 Prozent gegenüber Marktbenchmarks ist möglich. Zudem zeigen sich die Vorteile in den langfristigen Sanierungskosten durch eine deutliche Verlängerung der technischen Nutzungsdauer. Der Zeitraum bis zur Sanierung wird damit länger.
Die ökologischen Vorteile zeigen sich unter anderem durch einen deutlich geringeren Schadstoffausstoß oder durch die Wiederverwendung von Materialien (Urban Mining).
Es steckt also eine Menge Einsparpotential im Hinblick auf den Betrieb und die Nutzung einer Immobilie. Wie können zum Beispiel „digitale Werkzeuge“ helfen, Prozesse schlank und effizient zu gestalten?
Uwe Rotermund: Es gibt mittlerweile viele digitale Werkzeuge in der Planungs-, Bau- und Nutzungsphase von Gebäuden. Dies bedeutet nicht, dass es die „eine Software“ gibt. Ich empfehle die frühe Erstellung einer Digitalisierungsstrategie für das Gebäude zum Beispiel Automationstechnik, und für den Betrieb/die Nutzung ein Monitoring oder eine Datenbereitstellung. Wichtig ist, dass alle digitalen Werkzeuge zusammenarbeiten und nicht als Insellösungen betrieben werden. Beispiele für oft eingesetzte IT-Systeme sind: Gebäudeautomation, BIM, CAFM, Raumreservierung, ERP.

m&w: Vor dem Hintergrund weiter steigender Bau-, Energie- und Materialkosten: Wie sieht es mit Bestandsgebäuden und deren Sanierung aus? Warum ist eine vorausblickende Berechnung der Sanierungskosten zu empfehlen?
Uwe Rotermund: Für mich ist die Standard-LZK-Berechnung nicht die Berechnung für den Neubau, sondern eher der Wirtschaftlichkeitsvergleich Neubau/Sanierung. Die ideale Vorgehensweise ist eine Machbarkeitsstudie („Leistungsphase 0“, Klärung möglicher Szenarien für das Gebäude/die Liegenschaft) mit einer LZK-Berechnung zu kombinieren. Der simple und oft durchgeführte Vergleich Sanierungskosten versus Neubaukosten (aber nur für die Errichtung) ist viel zu kurz gedacht. Aufgrund des hohen Anteils der Nutzungskosten an den Lebenszykluskosten sind diese als wesentliches Entscheidungskriterium für die Fragestellung Neubaus versus Sanierung heranzuziehen.
Das gleiche gilt für die Erstellung eines „Sanierungskatasters“: Für ein Gebäude werden die verbleibenden technischen Nutzungsdauern und die resultierend notwendigen Sanierungskosten für die kommenden Jahre ermittelt. Für alle Gebäude eines Eigentümers können diese dann gebäudeübergreifend summiert werden, sodass strategische Entscheidungen möglich sind.

m&w: Die Lebenszyklusbetrachtung beinhaltet auch den Rückbau von Gebäuden. Wo stehen wir hier? Was muss noch getan werden, um die ressourcenschonenden Potenziale zu nutzen?
Uwe Rotermund: Wir sind hier auf dem richtigen Weg. „Cradle to Cradle“ (C2C) oder „Urban Mining“ sind Ansätze zur Wiederverwendung von Materialien, welche auch bereits in der Planung berücksichtigt werden können, zum Beispiel durch die Aufnahme der verwendeten Materialien in eine Datenbank. Allerdings reicht nicht die Erstaufnahme – eine fortlaufende Pflege mit Massenermittlung ist notwendig.

m&w: Um Ressourcen zu schonen, bieten alternative bzw. recycelte Baumaterialien enormes Potenzial. Inwieweit klaffen hier Theorie und Praxis noch auseinander?
Uwe Rotermund: Leider gibt es bislang noch wenige positive Beispiele. Zudem bin ich mit diesem spezifischen Thema auch nicht im Detail vertraut. Von Experten auf dem Gebiet C2C ist bislang auf jeden Fall zu vernehmen, dass die Wiederverwertung von Materialien einige Hürden beinhaltet.

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