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BUILDING INFORMATION MODELING (BIM)

„BIM ist der zentrale Baustein für die digitale Transformation unserer Branche“

Die digitale Modellierung und Vernetzung von Bauwerksdaten gilt für die Bauwirtschaft als wichtiges Instrument zur effizienten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Bauwerken. Wie weit ist die Branche tatsächlich, wenn es um den Einsatz von BIM geht? Im Interview erklärt Mathis Becker, Sprecher der buildingSMART Regionalgruppe Ostwestfalen-Münsterland, den aktuellen Stand und die Chancen dieser Methode.

Herr Becker, die buildingSMART Regionalgruppe Ostwestfalen-Münsterland feierte erst vor wenigen Monaten ihre Neugründung. Was ist ihre Aufgabe und welche Ziele verfolgt sie?

Mathis Becker: Die Regionalgruppe Ostwestfalen-Münsterland des buildingSMART Deutschland besteht seit einigen Jahren, hatte ihre Präsenz aufgrund einiger Abgänge in entscheidenden Rollen zwischenzeitlich verloren. Zum Start 2024 haben Co-Sprecher Wolfgang Hildebrand und ich neue Interessenten akquiriert und gemeinsam mit diesen einen funktionierenden und aussagekräftigen Koordinierungskreis mit namhaften Organisationen aus der Region gebildet. Auf dieser Basis möchten wir die Digitalisierung im Bau- und Immobilienwesen insbesondere in unserer Region gemeinschaftlich vorantreiben und alle Interessenten darin unterstützen, ihr BIM-Know-how auszubauen. Für uns steht fest, dass BIM (Building Information Modeling) den zentralen Baustein für die digitale Transformation unserer Branche darstellt.

Wie ist der aktuelle Stand der Dinge in OWL und im Münsterland hinsichtlich der digitalen Transformation im Bauwesen?

Mathis Becker: Mein Eindruck ist, dass die digitale Transformation unserer Branche in Deutschland allgemein noch in den Kinderschuhen steckt, das würde ich auch auf die Region OWL und Münsterland übertragen. Vereinzelte Regionen und Kommunen, die teilweise mit ansässigen Hochschulen zusammenarbeiten, scheinen voranzugehen. Dass wir in der Breite noch Potenziale zu nutzen haben, liegt meines Erachtens nicht an fehlender Technik oder Rahmenbedingung, sondern eher an mangelnder Verbreitung des vorhandenen Wissens und der nötigen Motivation, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Die Entwicklung und die technischen Themen innerhalb der Expertenkreise sind mittlerweile weit vor den Themen der Anwender in der täglichen Projektarbeit.
Ich und mein Team bei den ahw Ingenieuren GmbH bearbeiten schon seit vielen Jahren erfolgreich BIM-Projekte. Auch über unsere Abteilung hinaus wird seit einigen Jahren jedes neue Projekt modellbasiert bearbeitet, weil wir auch ohne äußere Motivation unsere internen Benefits erkennen. Sobald wir uns allerdings aus unserer BIM-Blase heraus bewegen, merken wir immer wieder, dass diese ganzheitlich digital gedachte Welt noch recht klein ist.

Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Hindernisse und Herausforderungen für die Branche, um das digitale Bauen voranzubringen?

Mathis Becker: Eine zentrale Herausforderung stellt sicher der transparente Wissenstransfer dar, den wir u. a. mit unserer Regionalgruppe adressieren und vorantreiben möchten. Dazu scheint unsere Branche aktuell noch in der Findungsphase nach dem richtigen Maß an BIM zu sein, was zu stark schwankenden BIM-Zielen und -Anforderungen führt. Für mich ist entscheidend, dass die Anforderungen zielorientiert und projektspezifisch „maßgeschneidert“ sind, um eine möglichst hohe Effizienz zu erreichen. Ich nenne das „LeanBIM“.
Viele BIM-Anwendungen stellen für uns eine Grundleistung dar und sind Teil des modernen Planens. Einige Anforderungen können jedoch einen erhöhten Aufwand für die Planer darstellen und somit mit zusätzlichen Kosten in der Planung verbunden sein. Je höher die Anforderungen, desto komplexer die Umsetzung, desto höher sind aber auch die zu erwartenden Mehrwerte. Da nahezu jedes Projekt individuell ist und die potentiell eingesparten Kosten in der Bauausführung oder im Betrieb somit schwer zu messen sind, stellen zusätzliche Kosten in der Planung erstmal eine Hürde dar. Ich bin mir sicher, dass die Akzeptanz und das gemeinschaftliche Verständnis mit der Anzahl an Referenzen und dem Erfahrungsaustausch wachsen und reifen werden.

Co-Sprecher Wolfgang Hildebrand sieht einen weiteren bedeutenden Meilenstein insbesondere in der Einführung der BIM-basierten Baugenehmigung. Sie ermöglicht nicht nur eine effizientere und transparentere Prüfung von Bauanträgen, sondern fördert auch die Standardisierung digitaler Prozesse über alle Projektphasen hinweg. Durch die frühzeitige Integration digitaler Modelle in die Genehmigungsverfahren steigt die Akzeptanz von BIM bei allen Beteiligten. Die BIM-basierte Baugenehmigung könnte künftig als Katalysator für die flächendeckende Verbreitung digitaler Methoden wirken und entscheidend dazu beitragen, das digitale Bauen in der Praxis zu verankern.

Die Bauindustrie sieht sich mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert: massiv gestiegene Material- und Baukosten, wachsende regulatorische Anforderungen für mehr Nachhaltigkeit, Normen und Richtlinien, akuter Fachkräftemangel. Was kann insbesondere hier eine digitale Bauprozessoptimierung erreichen?

Mathis Becker: Building Information Modeling ist kein Allheilmittel für all die Herausforderungen, mit denen wir aktuell konfrontiert sind, es kann aber in vielen Bereichen mindestens eine Teillösung darstellen. Durch den Einsatz digitaler Prozesse können wir flexibler und wirtschaftlicher auf die aktuellen Herausforderungen reagieren.

So können wir zum Beispiel in frühen Planungsphasen anhand des digitalen Modells aussagekräftige Mengen und Massen ableiten, Kollisionen und Planungsfehler durch automatisierte Prüfungen frühzeitig erkennen, somit eine Nachbearbeitung und Bauverzögerungen minimieren und zur kosten- und ressourceneffizienten Planung beitragen.
Das digitale Modell liefert uns zudem eine belastbare Grundlage für eine nachhaltigere Planung und ist damit Teil der Antwort auf die wachsenden Anforderungen für mehr Nachhaltigkeit. Aus einer Abschlussarbeit im Bereich BIM und Nachhaltigkeit ist bei uns im Hause in den vergangenen Jahren sogar ein weiterer Leistungsbereich gewachsen. Wir haben uns mit der teilautomatischen Verknüpfung von Ökobilanzdaten mit vorhandenen Modellen beschäftigt und dabei erstaunliche Ergebnisse erzielen können. Bereits in den frühen Planungsphasen, in denen wir noch Einfluss auf die nachhaltige Bauweise haben, können wir belastbare Daten modellbasiert ableiten und somit nachweislich zu einer nachhaltigeren Planung beitragen.
BIM kann auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken, obwohl es natürlich keine Fachkräfte „erschafft“. Es geht vielmehr darum, vorhandene Ressourcen effizienter zu nutzen, Prozesse zu automatisieren und die Produktivität zu steigern.

Können Sie evtl. ein Beispiel aus unserer Region nennen, das nach digitalem Planen und Bauen entstanden ist? Wo sehen Sie konkret die Vorteile gegenüber der traditionellen Bauweise?

Mathis Becker: Der Hüffer Campus bei uns in Münster ist ein tolles Beispiel für ein ganzheitlich digital gedachtes Bauprojekt. Durch eine enge Verzahnung mit unseren Planungsbeteiligten und durch die konsequente und durchgängige Planung anhand digitaler Modelle konnten wir viele Mehrwerte erzielen.
BIM ermöglicht ein nahtloses Ineinandergreifen einzelner Prozesse. So sind zum Beispiel Mengen automatisiert aus unserem Modell abgeleitet worden und dienten als belastbare Grundlage für die Kostenkalkulation der Architektur. Das Modell als gemeinsame und zentrale Datenbasis ermöglicht eine transparente, durchgängige und protokollierte Kommunikation. Alle Projektbeteiligten greifen auf denselben Informationsstand zu, was Kommunikationslücken vermeidet und das digitale Projektwissen jederzeit verfügbar macht.
Dazu stehen uns ergänzende Koordinations- und Prüfmöglichkeiten zur Verfügung, die zu höherer Kostensicherheit, Terminsicherheit und zur Minimierung von Planungsfehlern führen. Klar definierte Schnittstellen der Beteiligten sorgen für klare Verantwortlichkeiten und damit zu einer optimierten Abstimmung der Gewerke.
Besonders naheliegend und wertvoll zugleich ist die visuelle Darstellung in 3D, die das Projekt auch für Planungsfremde greifbar macht und fundierte Entscheidungen erleichtert.

Ein großes Potenzial liegt in der Weiterverwendung der Modelle über die Planungs- und Bauphase hinaus, zum Beispiel im Gebäudebetrieb, als Grundlage für spätere Umbaumaßnahmen oder sogar bis hin zum Rückbau. Diese Möglichkeiten werden derzeit noch zu selten vollständig ausgeschöpft.

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