Veränderung verlangt von Unternehmen, Führungskräften und Mitarbeitenden ein großes Maß an Anpassungsfähigkeit, Kreativität und Resilienz, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Wie sich so ein Transformationsprozess gestalten lässt und welche Rolle die Führungskultur dabei spielt, erklärt Professor Dr. Martin Schneider vom Lehrstuhl Betriebswirtschaftslehre, Schwerpunkt Personalwirtschaft, an der Universität Paderborn.
Herr Professor Schneider, Untersuchungen zeigen, dass nur etwa jede dritte Unternehmenstransformation gelingt. Welchen Anteil haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einer erfolgreichen Umsetzung?
Dr. Martin Schneider: Einen großen Anteil, aber den kann man nicht quantifizieren. Oft wird der Erfolg einer Transformation auf ein neues Produkt oder eine neue Organisationsstruktur zurückgeführt. Hinter solchen Faktoren steht jedoch immer das, was die einzelnen Beschäftigten konkret in der belastenden Umbruchphase tun oder lassen: sich weiterbilden oder wegbewerben, die neue Software installieren oder über mögliche betriebsbedingte Kündigungen sinnieren, mit den Kolleginnen und Kollegen arbeiten oder mit ihnen Gerüchte austauschen. In der Summe bestimmen die vielen Handlungen jeder und jedes Einzelnen, ob die Belegschaft insgesamt eine Transformation unterstützt oder bremst. Das ist also ein kollektives Phänomen, etwas, das von der Organisationskultur abhängt. Die Forschung tut sich schwer damit, den Anteil der Organisationskultur am Erfolg einer Unternehmenstransformation zu bestimmen. Am ehesten gelingt das in qualitativen Interviewstudien mit Akteurinnen und Akteuren des Wandels. Hier zeigt sich immer wieder: Die Rolle von Kultur und Belegschaft gilt als „weicher“ Faktor und wird systematisch unterschätzt, ob bei Digitalisierungsprojekten, Unternehmensfusionen oder Kostensenkungsprogrammen.
Warum sind Veränderungen in der Arbeitswelt für viele Menschen so schwierig zu bewältigen?
Dr. Martin Schneider: Beschäftigte nehmen anstehende Veränderungen meist als schlecht für sie wahr. Schließlich besteht für die meisten von ihnen eine gute Passung mit der Stelle und dem Unternehmen. Sie sind zufrieden da, wo sie augenblicklich sind. Dieser so genannte Person-Organisation-Fit ist in Gefahr, wenn sich Organisationsstrukturen, Abläufe und Arbeitsinhalte ändern oder sogar Personalabbau diskutiert wird. Denn erstens haben langjährig Beschäftigte meist ihre Kompetenzen so perfektioniert, dass sie ihre Aufgaben routiniert bewältigen. Werden nun neue Abläufe oder Technologien eingeführt, müssen die Beschäftigten sich mühsam weiterbilden. Zweitens sind die Beschäftigten an ihr gewohntes soziales Umfeld gewöhnt. Wenn Abteilungen umstrukturiert werden, müssen sie sich in neue Teams und Hierarchien einfinden, was ebenfalls Energie kostet. Schließlich sind Beschäftigte auf das Einkommen angewiesen. Transformationen verursachen jedoch häufig eine Unsicherheit über künftige Verdienstmöglichkeiten und gar Furcht vor Arbeitsplatzverlust.
Obwohl dies alles bekannt ist, werden Unternehmenstransformationen oft von oben herab angestoßen, ohne daran zu denken, die Beschäftigten zu beteiligen. Der Klassiker ist: Die Personalleitung und die Beschäftigten erfahren von einer geplanten Unternehmensübernahme aus der Zeitung oder den sozialen Medien. Weil die Unternehmensleitung selbst unter Druck steht, ist es vielleicht nachvollziehbar, dass man nicht gleich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denkt. Aber damit verunsichert man Beschäftigte und stößt sie vor den Kopf. Das ist ein extrem ungünstiger Beginn für eine erfolgreiche Transformation.
Eine Veränderung kann für alle Beteiligten Stress und Überforderung bedeuten. Welche Möglichkeiten bieten sich an, Menschen für Transformationsprozesse zu begeistern?
Dr. Martin Schneider: Diese Frage lässt sich aus der Motivationstheorie heraus beantworten. Begeisterung besteht in einer Motivation, die nicht nur auf Anreizen wie Geld, Lob oder Strafen beruht, sondern auch aus den Menschen selbst kommt. Damit ist zu rechnen, wenn die tägliche Arbeit bestimmte Grundbedürfnisse der Menschen – Selbstbestimmung, Zugehörigkeit und Kompetenz – anspricht. Konkret: Man kann die Beschäftigten mitentscheiden lassen, wie sie sich in neue Aufgaben einbringen oder neue Skills erwerben wollen. Man muss ihnen den Sinn und Zweck der neuen Aufgaben erklären und dabei Gemeinschaftsempfinden im Team schaffen. Und das große, in der Ferne kaum sichtbare Ziel der Transformation muss aufgeteilt werden, sodass Beschäftigte merken, dass sie konkrete Zwischenziele erreichen können, somit regelmäßig Erfolgserlebnisse haben und zum großen Ganzen beitragen können. Dem liegt allerdings die Annahme zugrunde, dass Menschen generell lernen und sich entwickeln möchten. Die Menschen entsprechen allerdings in unterschiedlichem Ausmaß diesem Bild. Vielen ist der Wandel vielleicht doch zu viel. Daher gilt: Gerade in Zeiten der Veränderung ist es wichtig, dass Personalführung nicht pauschal für alle Beschäftigten konzipiert wird, sondern differenziert oder sogar individualisiert erfolgt.
„Manager können Werte vorschlagen und vor allem vorleben, aber nicht implementieren wie ein neues Softwareprogramm.“
Braucht es dazu auch eine neue Führungskultur? Und wie muss die aussehen?
Dr. Martin Schneider: Seit einiger Zeit wird von agiler Führung gesprochen. Das ist zwar ein arg strapazierter Modebegriff geworden, aber in der Sache würde ich der zugrundeliegenden These zustimmen: Führung, die Wandel unterstützt, kann ein wenig so vorgehen, wie man häufig Software- und sonstige Entwicklungsprozesse steuert. Teams wird viel Eigenverantwortung gegeben, Beschäftigte können so partizipieren und in ihren Teams weitgehend autonom handeln. Ziele müssen bei Bedarf angepasst werden. Diese Agilität erfordert nicht nur neue Strukturen und Abläufe, sondern auch ein anderes Aufgabenverständnis für Führungskräfte. Sie ordnen viel weniger an, weil vieles delegiert ist. Aber sie halten den Teams den Rücken von Bürokratie und unnötigen Aufgaben frei und schaffen ein sicheres, produktives Umfeld für selbstbestimmtes Arbeiten. Dazu gehört allerdings auch, die unterschiedlichen Ausgangspunkte der Beschäftigten, ihre Kompetenzen, Belastbarkeit und Autonomiebedürfnisse, zu berücksichtigen.
Welche Bedeutung haben die Fähigkeiten der Beschäftigten, oder anders gefragt: Welche Rolle spielt das Know-how in Bezug auf Geschwindigkeit und Erfolg von Transformationsprojekten?
Dr. Martin Schneider: Die Kompetenzen der Beschäftigten sind für viele Unternehmensumbrüche zentral und sie haben paradoxe Effekte auf den Erfolg. Nehmen Sie das einfache Beispiel der Automatisierung. Ohne das implizite Wissen der Beschäftigten kann eine Maschine oft gar nicht so konstruiert oder programmiert werden, dass sie einen Prozess autonom übernimmt. Aber sollten die Beschäftigten daran mitwirken, ihren eigenen Job wegzurationalisieren? Erfolgreicher und schneller automatisieren Unternehmen dann, wenn es ihnen gelingt, dieses Dilemma zu überwinden. Sie müssen den Beschäftigten glaubhaft versichern, dass sie vielleicht nicht dasselbe Aufgabenprofil, aber auf jeden Fall ihre Beschäftigung behalten werden. Sie müssen Weiterbildungsangebote machen. Sie können eine Teilautomatisierung so gestalten, dass sie die Beschäftigten entlastet. Das deutsche System der Berufsausbildung ist hierbei auch wieder paradox. Es ist Problem und Lösung in einem. Aufgrund der starken Eingangsqualifikation sind die Beschäftigten besser ausgebildet als zum Beispiel in den Vereinigten Staaten. Unternehmen definieren daher die Arbeitsplätze breiter, es geht zum Beispiel um Steuerung und Wartung einer Produktionsanlage, nicht um die Bedienung einer ganz bestimmten Maschine. Wenn die alte Maschine wegfällt, muss in Deutschland der Arbeitsplatz nicht notwendigerweise wegfallen. Die Beschäftigten können ja deutlich mehr als diese Maschine. Das ist positiv und kann den Wandel unterstützen. Allerdings reichen die Eingangsqualifikationen selbst deutscher Beschäftigter häufig nicht aus, wenn automatisiert wird. Dann müssen sie sich weiterbilden – aber das deutsche Ausbildungssystem ist auf Weiterbildung weniger gut ausgerichtet als auf die Erstausbildung. Den Beschäftigten ist vielleicht nicht klar, dass sie sich kontinuierlich weiterentwickeln müssen, und die Weiterbildung im Betrieb ist weniger gut standardisiert und institutionell verankert als die berufliche Erstausbildung. Es dauert daher oft lange, bis notwendige Trainingsmodule vorhanden und bis die Beschäftigten zum Training bereit sind.
Auf welche Fähigkeiten und Stärken kommt es künftig an? Was sind also die Skills von morgen?
Dr. Martin Schneider: Fachliche Skills unterscheiden sich natürlich von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz. Bei nicht-fachlichen Skills oder Soft Skills wird dies anders gesehen. Derzeit wird überall nach Schlüsselkompetenzen gefahndet, die für viele Beschäftigte relevant sein sollen und nach denen man Beschäftigte auswählen und weiterentwickeln kann. Es geht hier durchweg um Skills, die Beschäftigte dazu in die Lage versetzen, den Wandel erfolgreich zu gestalten oder wenigstens zu bewältigen. Soziale Skills wie Teamfähigkeit sind wichtig, weil sich heterogene Teams heute oft selbst organisieren müssen. Emotionale Skills der Selbstregulierung und des Selbstmanagements werden wichtiger, weil Veränderungsprozesse nur gelingen, wenn Beschäftigte ihre eigenen Kompetenzen als ausbaufähig wahrnehmen und wenn sie auch mit Rückschlägen und Überforderung umgehen können. Als Ökonom habe ich allerdings eine gewisse Distanz dazu, dass nun viele produktive Soft Skills entdeckt werden, wie etwa Resilienz. Ein anderes Beispiel ist Grit, mit dem man ein gewisses Durchhaltevermögen bezeichnet. Das ist alter Wein in neuen Schläuchen. In Arbeitsbereichen wie dem Profisport, der Pharmaforschung und der Notfallmedizin sind solche Eigenschaften bzw. Einstellungen schon lange notwendig. Auch als Personaler bin ich hier skeptisch. Denn es handelt sich nicht direkt um Skills, sondern um schwer veränderliche Eigenschaften und beinahe private Einstellungen. Indem man sie in das Anforderungsprofil für Stellen aufnimmt, überträgt man immer mehr Verantwortung auf die Beschäftigten, nach dem Motto: Wenn man dauernde Krisen nicht vermeiden kann, müssen die Beschäftigten eben resilient sein, und wenn man agil arbeiten will, dann müssen alle Teammitglieder sich eben selbst führen können.
Was empfehlen Sie Unternehmen, die einen Transformationsprozess planen, im Vorfeld zu tun?
Dr. Martin Schneider: Unternehmensleitungen sollten planen, wie und wann sie die Beschäftigten worüber informieren. Sie sollten auch abgrenzen, was sozusagen gesetzt ist und wo es einen Spielraum für Gespräche und Teilhabe der Beschäftigten gibt. Ein Beispiel: Wenn in neue Maschinen investiert werden soll, könnten Produktivitätsziele vorgegeben werden, aber der Automatisierungsgrad und die exakte technische Umsetzung könnten im Gespräch gemeinsam mit den Beschäftigten konkretisiert werden. Nicht ob, sondern wie umgebaut wird, ist dann das Thema. Auf diese Weise verhandelt man von Anfang an zukunftsorientiert und schafft ein Zugehörigkeitsgefühl.
In größeren Unternehmen sind auch der Betriebsrat und die Personalabteilung frühzeitig einzubinden. Damit riskiert man zwar einen konfliktreicheren Prozess, aber die scheinbare Verzögerung holt man oft wieder rein, wenn die Beschäftigten dann mit an Bord sind. Denn Betriebsrat und Personalabteilung erkennen meist unerwünschte Nebenwirkungen von Veränderungen, die dem strategischen Blick von oben entgehen.
Und vielleicht sollte man den Zeitplan für die harten und die vermeintlich weichen Faktoren entkoppeln. Bis sich die Beschäftigten in ihren Kompetenzen und Einstellungen gewandelt haben, dauert es meistens länger als neue Gebäude zu errichten oder formale Strukturen zu etablieren. Denn erstens gehen Umbrüche mit Fluktuation einher. Manche Beschäftigten werden das Unternehmen verlassen, andere müssen erst an Bord kommen. Und zweitens entzieht sich eine Organisationskultur, also die verinnerlichten Werte und Normen, dem unmittelbaren Zugriff der Unternehmensleitung.
Aus Ihrer Sicht: Ist Transformation ein einmaliges Projekt oder vielmehr ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur?
Dr. Martin Schneider: Das ist eine hohe Kunst, die in der Unternehmenstheorie mit dem Stichwort „Ambidextrie“ oder „Beidhändigkeit“ diskutiert wird. Es geht dabei um die Idee, dass Unternehmen idealerweise die doppelte Fähigkeit besitzen, mit dem Tagesgeschäft Geld zu verdienen und gleichzeitig durch Innovationen die Zukunft zu sichern. Das ist jedoch nicht so einfach, wie man zum Beispiel in der deutschen Automobilindustrie gerade sieht. Effizienz im Tagesgeschäft erreicht man durch Spezialisierung, Routine und den Abbau unnötiger Puffer. Innovation hingegen verlangt einen breiteren, generalistischen Blick, das Aufbrechen von Routinen und das Einräumen großzügiger Zeitbudgets, um nachzudenken und zu experimentieren. Beides lässt sich aber durchaus mit Tricks vereinen. Man kann es zum Beispiel nicht allen, aber ausgewählten Teammitgliedern zur Aufgabe machen, den Innovationshut aufzuhaben, um nach produktiven Änderungen zu suchen. Oder man räumt allen Teammitgliedern bestimmte Zeiten ein, die für Innovationsprojekte reserviert sind.