Barbara Lüder, Managerin Technik, Recht und Nachhaltigkeit im Verband der deutschen Messewirtschaft AUMA, über Klimaneutralität in der Messewirtschaft, wiederverwendbare Messestände und wie mit nachhaltigen Konzepten Kosten gespart werden können.
Die deutsche Messewirtschaft macht sich auf den Weg zur Klimaneutralität. Dafür gibt es seit einigen Monaten eine weiterentwickelte Branchenposition des AUMA. Können Sie die Meilensteine bis zur Klimaneutralität im Jahre 2040 skizzieren?
Barbara Lüder: Das große Ziel ist in der Tat die Klimaneutralität im Jahr 2040, immerhin fünf Jahre vor dem nationalen Klimaziel 2045. Um das zu schaffen, wird die deutsche Messewirtschaft an unterschiedlichen Stellschrauben drehen. Eine davon ist die ausschließliche Nutzung von Ökostrom. Das wollen wir als Branche bis 2025 umsetzen. Eine andere ist die Lebensmittelproduktion. Sie verursacht hohe Treibhausgasemissionen, dementsprechend wird das Vermeiden von Lebensmittelverschwendung im Catering immer wichtiger. Außerdem gilt es, die Nutzung von wiederverwertbaren Materialien im Standbau und die möglichst emissionsarme Anreise der Messegäste zu erreichen.
Die gestiegene Sensibilität für soziale und ökologische Verantwortung in der Eventbranche führt dazu, dass Nachhaltigkeitszertifikate als glaubwürdige Quellen für nachhaltiges Wirtschaften und die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben angesehen werden. Was bedeutet das für die Akteure und Messe-Dienstleister?
Barbara Lüder: Wohl jede und jeder muss sich verstärkt mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen, um den Erwartungen der Kunden gerecht zu werden. Nachhaltigkeitszertifikate geben dabei eine Orientierung. Hier kommt es vor allem darauf an, welche Anforderungen der Gesetzgeber vorschreibt oder im Rahmen von Beschaffungsprozessen vorgegeben werden. Insbesondere große Unternehmen setzen zunehmend auf nachhaltige Beschaffung. Die gesetzlichen Vorgaben aus der Corporate Sustainability Reporting Directive und dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz werden für sie schon bindend.
Die Minimierung des Abfallaufkommens und eine Verstärkung des Recyclings ist einer aktuellen Studie zufolge, ein Anliegen mit der größten Bedeutung für Messeteilnehmer. Welche Lösungen gibt es hier?
Barbara Lüder: Es gibt wirkungsvolle Wege zur Reduzierung des Abfallaufkommens: Messestände sollten multifunktional geplant und die Wiederverwendung von Möbeln oder Baugruppen zur Norm werden. Das macht sich auch positiv auf der Kostenseite bemerkbar. Mit einer frühzeitigen Planung des Messeauftritts kann das Transportvolumen gebündelt und der Verpackungsmüll reduziert werden. Beim Catering erzielt man durch die kontinuierliche Evaluation von bedarfsgerechten Speise- und Getränkeangeboten und den Einsatz von Mehrweggeschirr eine Verringerung der Abfallquote.
Und am wirkungsvollsten ist es, wenn Veranstalter, ausstellende Unternehmen, Messebauer und Besucherinnen und Besucher an einem Strang ziehen und sich jeder von sich aus um weniger Abfall bemüht.
Stichwort Logistik: Nationale und besonders internationale Messen sind in der Planung, Organisation und Durchführung mit oftmals großen Distanzen und Anfahrten verbunden. Wie soll die Dekarbonisierung dennoch gelingen?
Barbara Lüder: Nachhaltige Mobilität ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Ohne Mobilität wird Wirtschaft nicht gelingen. In unserer Branche haben wir uns folgendes vorgenommen, immer auch in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Partnern. Schritt 1: Der öffentliche Personennahverkehr und die Bahn müssen konsequent in das Verkehrskonzept der Veranstaltungen eingebunden werden. Schritt 2: Es ist eine Zusammenarbeit mit allen Partnern aus der Reisebranche erforderlich, denn auch die Fluggesellschaften und Hotels arbeiten an nachhaltigen Lösungen. Wir sollten unseren Teilnehmenden konsequent nachhaltige Reiseoptionen anbieten und ihnen die Reiseplanung erleichtern. Schritt 3: Schon bei der Vorbereitung ihres Messeauftritts können ausstellende Unternehmen bereits darauf achten, dass sie Abstimmungstermine mit Dienstleistern konzentrieren oder online stattfinden lassen. Das reduziert den Reiseaufwand. Schließlich bleibt aber vor allem festzuhalten, dass durch den geplanten und gezielten Besuch von Leitmessen andere Geschäftsreisen vermieden werden, denn gerade die Leitmessen sind Branchentreffen für ganze Wirtschaftszweige.
Messestände gelten als Visitenkarte der ausstellenden Unternehmen. Modulare wiederverwendbare Messestände könnten eine umweltfreundliche Lösung sein. Aus Ihrer Erfahrung: Wie groß ist der Einsatz dieser wiederverwendbaren Messestände bzw. die Akzeptanz der ausstellenden Unternehmen?
Barbara Lüder: Individualität trotz Wiederverwendung spielt eine wichtige Rolle bei der Akzeptanz von nachhaltigem Standbau. Ein Kennzeichen des Messeplatzes Deutschlands ist der kreative und aussagekräftige Standbau. Gute Messebauunternehmen zeigen, wie positiv individueller und nachhaltiger Messebau miteinander in Einklang gebracht werden können. Wiederverwendbarkeit ist nachhaltig und gleichzeitig kostengünstig. Das überzeugt!
Stichwort Kostensteigerung: Der aktuelle Teuerungs-Trend macht auch vor Events und Messen nicht halt. Die gesamte Branche ist überproportional von Teuerungen betroffen. Je nach Event-/Messe-Format und Größe mussten in 2022 im Schnitt 45 Prozent mehr Budget zur Verfügung gestellt werden als für eine vergleichbare Produktion in 2019, so der Fachverband R.I.F.E.L. e. V. Ist zu befürchten, dass die Nachhaltigkeitsbemühungen zu weiteren Kostensteigerungen in der Branche führen werden?
Barbara Lüder: Andersherum wird ein Schuh daraus: Man kann diesen Trend als Chance für die Nachhaltigkeit sehen. Nachhaltigkeit kann sogar Kosten reduzieren. Modularer Standbau spart nach mehrfachem Einsatz Kosten. Außerdem können Messebauunternehmen herangezogen werden, die in der Region der Messe angesiedelt sind und kurze Transportwege haben. Oder solche, die bereits für andere Aussteller auf der Messe einen Stand bauen und bei Transport und Montage Synergieeffekte nutzen können. Schlussendlich können sich ausstellende Unternehmen nicht nur an ihrem Firmensitz, sondern auch bei ihrem Messeauftritt Energieeinsparziele setzen.