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NACHHALTIGKEIT IN DER EVENTBRANCHE

„Bis Nachhaltigkeit zum Standard wird, ist es noch ein längerer Weg“

Die Veranstaltungsbranche verfügt über verschiedene Hebel, um mehr Nachhaltigkeit erlebbar zu machen. Was möglich ist und wo die größten Herausforderungen liegen, erklärt Stefan Lohmann, Experte für Live-Entertainment und Nachhaltigkeit.

Sie haben vor einigen Jahren zusammen mit Branchenverbänden und Netzwerken der Green Economy und der Veranstaltungsindustrie die „16 Steps Initiative“ ins Leben gerufen – mit dem Ziel, die Branche bis 2025 Schritt für Schritt zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaneutralität zu führen. Jetzt sind wir fast am Ende des Jahres angekommen. Sind Sie zufrieden mit dem bisher Erreichten?

Stefan Lohmann: Ganz klar: Jein! Einerseits hängen wir dem ursprünglichen Veröffentlichungsplan deutlich hinterher, andererseits hat sich in der Zwischenzeit unglaublich viel getan. Ich würde sagen: Wir sind mit dem Projekt erfolgreich gescheitert!Da ich die letzten Steps immer in Kooperation veröffentlicht habe – unter anderem zum Thema Wasser zusammen mit Viva con Agua oder mit Expertinnen und Experten wie Robert Trebus von d&b audiotechnik, der im DIN-Ausschuss für die Aktualisierung der ISO 20121 zuständig ist, zum Thema Kreislaufwirtschaft – kam es zu Verzögerungen. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit dem GWA – Verband unabhängiger Werbeagenturen, mit dem ich für den Bereich Kommunikation kooperiert habe. Alle Beteiligten machen das neben ihrem eigentlichen Job, und dadurch braucht es mehr Abstimmungsrunden, als wenn man alles allein veröffentlicht.
Ich freue mich sehr über die zusätzliche Expertise und Reichweite. Dafür nehme ich die Verzögerungen gern in Kauf. Das ursprüngliche Ziel 2025 ist damit zwar vom Tisch – aber die Wirkungskraft der Initiative hat sich deutlich vergrößert.
Mittlerweile unterstützen über 40 Verbände und Netzwerke aus der Event- und Green-Economy-Szene die 16 Steps Initiative.
Zudem berichten immer mehr Medien über die einzelnen Steps und die Initiative insgesamt. Und aus der Initiative heraus entstehen ständig neue Dinge: Buchbeiträge, Artikel in Fachmagazinen, Panels, Podcasts, neue Netzwerke und vieles mehr.

Was konnte die Branche konkret umsetzen?

Stefan Lohmann: Ich würde sagen, dass Wissen über den Klimawandel, die Notwendigkeit der Transformation und die vorhandenen Lösungsansätze – sind auch dank unserer 16 Steps Initiative – inzwischen zum Allgemeinwissen der Branche geworden.
Als Initiator des Netzwerks Nachhaltiger Eventagenturen haben sich inzwischen über 50 Eventagenturen zusammengeschlossen und ein gemeinsames Manifest veröffentlicht. Auch das wäre vor drei bis vier Jahren undenkbar gewesen – ist aber eine logische Konsequenz der 16 Steps Initiative. Das Manifest basiert übrigens auch  – genau wie die 16 Steps – auf dem Sustainability Rider von Sustainable Event Solutions, den ich als Gründer verfasst habe.

Wo liegen für die Veranstaltungswirtschaft die größten Herausforderungen, wenn es darum geht, mehr Nachhaltigkeit umzusetzen?

Stefan Lohmann: Das kommt darauf an, welchen Aspekt man betrachtet: Umwelt, soziale oder wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Meist geht es um Umweltauswirkungen – und da ist mit weitem Abstand die Anreise der Gäste die größte Herausforderung. Sie verursacht bis zu 90 Prozent der Gesamtemissionen einer Großveranstaltung. Danach folgen Energie, Catering, Logistik, Abfallmanagement usw.
Für alles gibt es bereits Lösungen – viele davon finden sich in den 16 Steps, inklusive Deep Dives von Expertinnen aus der Branche. Aber bis Nachhaltigkeit zum Standard wird, ist es offenbar noch ein längerer Weg. Das liegt auch am mangelnden politischen Willen der aktuellen Regierung, die gerade viele sinnvolle Regulierungen zurücknimmt. Und es liegt an Auftraggeberinnen, die sich darüber freuen, weniger Klimaschutz einhalten zu müssen – obwohl genau das uns allen schadet, da der Klimawandel weiter ungebremst voranschreitet und Schäden sowie Kosten immer größer werden.
Wer Veranstaltungen plant, die unsere Lebensgrundlagen gefährden, gefährdet Menschenleben – und die Zukunft der eigenen Firma sowie der gesamten Veranstaltungswirtschaft. Das sollte mittlerweile allen klar sein.
Allein 100.000 Menschen sterben in Deutschland jedes Jahr durch Luftverschmutzung. Tausende Hitzetote kommen hinzu.
Jeder und jede sollte sich fragen, ob man Teil der Lösung oder Teil des Problems sein will. Zumal nachhaltige Veranstaltungen riesige Einsparpotenziale bieten – es lohnt sich also mehrfach nachhaltig zu agieren.
By the way:Viele nachhaltige Lösungen machen auch einfach mehr Spaß, schmecken besser – und sind oft günstiger!

Was sind Ihre nächsten Ziele bzw. die nächsten Steps?

Stefan Lohmann: Zunächst möchte ich alle 16 Steps veröffentlichen und die Jahreszahl 2025 aus der Kommunikation entfernen. Es geht jetzt nicht mehr darum, ein bestimmtes Jahr zu erreichen – für viele, die später dazugestoßen sind, war das ohnehin unrealistisch. Jetzt geht es darum, dass alle so schnell wie möglich klimaneutral werden und unsere Lösungen sowie Fallbeispiele nutzen.
Viele sind die Schritte bereits mit uns gegangen – siehe Netzwerk Nachhaltiger Eventagenturen. Das sind die größten, wichtigsten und kreativsten Eventagenturen Deutschlands.
Das zeigt, wie viel sich in der Zwischenzeit getan hat – und dass wir mit unserer Initiative ein wichtiger Teil davon waren und sind.
Immer mehr Auftraggeberinnen und Auftraggeber fordern Klimabilanzen von ihren Suppliern. Damit haben nur diejenigen eine Chance, die nachhaltig agieren.
Der Markt hat sich grundlegend verändert – auch wenn längst nicht alle nachhaltig arbeiten. Doch bei Unternehmen mit großen Budgets sind in der Regel nur noch Supplier im Rennen, die ihre nachhaltige Arbeitsweise nachweisen können.

Stichwort Kosten: Was entgegnen Sie denen, die behaupten, Nachhaltigkeit sei zu teuer und zahle sich nicht aus?

Stefan Lohmann: Denen sage ich: Diese Aussage beweist, dass sie keine Ahnung vom Thema haben. Wir konnten bei jedem Event große Einsparpotenziale heben, wenn es nachhaltig umgesetzt wurde. Wer Events nicht einfach nur „weniger schlecht“ machen will, sondern Nachhaltigkeit als Grundlage der gesamten Veranstaltungsplanung versteht, dem eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten.

Können Sie ein Beispiel nennen, das zeigt, wie ein Eventformat nachhaltig, wirtschaftlich und wirkungsvoll sein kann?

Stefan Lohmann: Klar, da gibt es viele Beispiele: wie Nachhaltiges Live-Entertainment mit dem Berlin Show Orchestra: Beim United for Children Festival zugunsten von UNICEF haben wir verschiedene Künstlerinnen begleitet. Dadurch mussten nur die Sängerinnen anreisen. Das spart Geld, Zeit, Umbauten, Hotelzimmer, Verpflegung, Transporte, Reisekosten usw.

Auch nachhaltiges Catering ohne Fleisch spart CO₂, Wasser und Kosten. Der Verzicht auf Dekoration spart Ressourcen. Inder Georg-Elser-Halle im Hamburger Bunker war nur wenig Zeit für Auf- und Abbau. Aufwändige Deko wäre nicht möglich gewesen – und hat dadurch Zeit, Ressourcen und Geld gespart. Ein nachhaltiges Abfallmanagement sorgt für weniger Abfall, weniger CO2 und weniger Kosten.
Wirkung ist das Schlüsselwort. Darauf kommt es bei nachhaltigen Veranstaltungen besonders an. Die gemeinsame Botschaft und das gemeinsame Engagement verbinden Menschen. Dieses Gefühl von Selbstwirksamkeit ist enorm kraftvoll. Viele fragen sich: „Was kann ich schon alleine tun?“ Nachhaltige Events zeigen, wie viel man gemeinsam bewegen kann. Das funktioniert auch bei Firmenevents – und bindet Talente emotional ans Unternehmen.

Die Themen Klimawandel und Umweltschutz haben aktuell in der Öffentlichkeit an Bedeutung verloren. Warum muss die Eventbranche dennoch dranbleiben?

Stefan Lohmann: Es ist nicht allein Aufgabe der Eventbranche, aber sie trägt eine große Verantwortung, denn wir erreichen jedes Jahr Millionen Menschen. Wir können nachhaltige Lösungen erlebbar machen – erneuerbare Energien, Wärmepumpen, E-Mobilität usw. zu Standards machen.
Wir können mit Events Ängste abbauen, Vertrauen schaffen und Einsamkeit entgegenwirken. Paradoxerweise nehmen Einsamkeit, Vorurteile, Hass und Ängste mit der intensiven Nutzung von Social Media zu.
Events und Kultur mit echten Begegnungen, Freude und Austausch sind das perfekte Mittel dagegen. Nichts beschleunigt die Transformation effektiver als nachhaltige Veranstaltungen – auch bei Corporate Events. Nachhaltigkeit zu erleben ist etwas völlig anderes, als die SDGs zu lesen.
Wie verrückt wäre es also, mit Events den Klimawandel noch zu beschleunigen? Damit würde man sein eigenes Geschäft zerstören – denn die Wirtschaft ist komplett von der Natur abhängig und nicht umgekehrt. Das scheinen manche vergessen zu haben.

Ein einfacher Test: Beim Geldzählen mal die Luft anhalten – da merkt man sehr schnell, wie abhängig wir von der Natur sind. Gleiches gilt für Insekten. Keine Insekten = kein Essen. So einfach – und so wichtig ist es, Biodiversität zu schützen und zu fördern.
Der Klimawandel entscheidet darüber, wie wir in Zukunft leben. Die Biodiversität entscheidet darüber, ob wir überleben.

Welche negativen Einflüsse sind zu befürchten, wenn die Auswirkungen des Klimawandels insbesondere auf Open-Air-Veranstaltungen treffen?

Stefan Lohmann: Immer mehr Veranstaltungen werden durch den Klimawandel ausfallen. Versicherungen sagen mir schon jetzt, dass sie aussteigen werden, wenn die Schadenssummen weiter steigen. Erst steigen die Beiträge – und dann steigen sie aus. Das sieht man heute schon in den USA, wo man in manchen Regionen durch den ungebremsten Klimawandel keine bezahlbaren Versicherungen mehr für Häuser bekommt.

Das bedeutet: Open-Air-Veranstaltungen werden in Zukunft oft nicht mehr durchführbar sein, weil das Risiko zu groß wird – durch Starkregen, Dürre, Unwetter, Brände, Hochwasser usw.
Auch die Temperaturen werden weiter steigen. Viele Veranstaltungen müssen künftig gekühlt oder beschattet werden, weil der Aufenthalt ohne Sonnenschutz zu gefährlich wird. Deshalb bereiten sich immer mehr Städte vor und kühlen ihre Stadtteile durch Bäume oder Gebäude wie den Hamburger Bunker mit über 25.000 Pflanzen.
Damit es nicht so weit kommt, haben wir mit Sustainable Event Solutions und „Cover My Ass“ als Versicherer eine nachhaltige Eventversicherung gestartet, die umso günstiger wird, je nachhaltiger eine Veranstaltung umgesetzt wird.

Eine Win-win-Situation – auch für die Natur!

Mir geht es um eine lebenswerte Zukunft für alle. Und diese Chance sollten wir nutzen, solange wir sie noch haben.

Weitere Informationen zum Sustainability Rider:
https://www.wuv.de/Themen/Agentur/Diese-Agenturen-wollen-Events-nachhaltiger-machen 

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