Der Transformationsdruck durch künstliche Intelligenz ist hoch, weil sich KI auf viele Organisationsebenen auswirkt. Betroffen sind nicht nur Prozesse und Produkte, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Katharina Hochfeld, Leiterin des Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI) beim Fraunhofer IAO, beschäftigt sich damit, wie Transformations- und Innovationsprozesse verantwortlich gestaltet werden können. Die Mitarbeitenden stehen im Fokus ihrer Forschung. Was Unternehmensverantwortliche tun können, um Druck und Unsicherheiten von ihnen zu nehmen, erklärt sie im Interview.
Frau Hochfeld, was bedeutet der digitale Wandel für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ja mit ihren Qualifikationen diesen Prozess aktiv im Unternehmen umsetzen müssen?
Katharina Hochfeld: Der digitale Wandel verändert die Arbeit auf allen Ebenen – von Prozessen über Produkte bis hin zu Rollenprofilen. Für Mitarbeitende bedeutet das einerseits eine enorme Chance, andererseits aber auch großen Druck. Neue Technologien, insbesondere Künstliche Intelligenz, entwickeln sich so schnell, dass viele Beschäftigte das Gefühl haben, kaum noch mithalten zu können. Was gestern noch als zukunftssicher galt, kann heute schon von Maschinen übernommen werden. Das erzeugt Unsicherheit und den Eindruck, die eigenen Fähigkeiten reichten nicht mehr aus. Gleichzeitig eröffnet die Digitalisierung neue Spielräume: Routineaufgaben lassen sich automatisieren, wodurch Zeit für kreative, komplexe und sinnstiftendere Tätigkeiten frei wird. Entscheidend ist, dass Unternehmen ihre Mitarbeitenden befähigen, diese Möglichkeiten aktiv zu gestalten. Weiterbildung, Lernräume und eine Kultur der psychologischen Sicherheit sind Schlüssel, damit Beschäftigte ihre Selbstkompetenz behalten und nicht in die Rolle von Getriebenen geraten. Denn wer den Wandel als gestaltbar erlebt, empfindet weniger Angst und kann seine Stärken produktiv einbringen. So wird digitale Transformation nicht zur Bedrohung, sondern zum Empowerment.
Welche „Stressoren“ bzw. Ängste sind es, die Druck bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufbauen und die die psychische und physische Gesundheit beeinträchtigen? Wie muss sich in diesem Kontext die Unternehmenskultur verändern?
Katharina Hochfeld: Zu den zentralen Stressoren gehören heute vor allem Qualifikationsdruck und das Gefühl, mit der Geschwindigkeit technologischer Entwicklungen nicht Schritt halten zu können. Viele Beschäftigte erleben eine „latente Skill Gap“: Sie fürchten, den steigenden Anforderungen nicht gerecht zu werden oder sogar ersetzbar zu sein. Das führt zu Stress, Demotivation und in manchen Fällen auch zu gesundheitlichen Problemen. Hinzu kommen hohe Erwartungen an ständige Erreichbarkeit, unklare Zukunftsperspektiven sowie die Angst, Fehler könnten sanktioniert werden. Um dem entgegenzuwirken, muss sich die Unternehmenskultur verändern. Gefordert ist eine Kultur psychologischer Sicherheit, in der Fragen und Fehler erlaubt sind und Lernen im Vordergrund steht. Führungskräfte sollten Beschäftigte nicht nur informieren, sondern aktiv beteiligen und gemeinsam konkrete Anwendungsfälle für neue Technologien entwickeln. Zeiträume für Weiterbildung und Experimente sind dafür ebenso wichtig wie ein respektvoller Umgang mit unterschiedlichen Kompetenzständen. Kurz: Unternehmen brauchen eine Wertebasis, die Vertrauen, Transparenz und Mitgestaltung in den Mittelpunkt stellt. So lässt sich aus einer Kultur der Angst eine Kultur der Entwicklung machen.
Es braucht eine Kultur psychologischer Sicherheit, in der Fragen und Fehler erlaubt sind und Lernen im Vordergrund steht.
Welche Angebote und Rahmenbedingungen müssen die Unternehmen schaffen, um die Mitarbeitergesundheit nachhaltig zu stärken?
Katharina Hochfeld: Gesundheit im digitalen Wandel hängt nicht nur von klassischen Gesundheitsangeboten ab, sondern von ganzheitlichen Rahmenbedingungen. Wichtig ist zunächst, Mitarbeitenden Zeit und Raum für Lernen und Anpassung einzuräumen. Wer permanent „on top“ Leistung bringen muss, ohne in neue Kompetenzen investieren zu dürfen, gerät unweigerlich unter Druck. Unternehmen sollten deshalb flexible Qualifizierungsformate anbieten – von Micro-Learnings bis hin zu Peer-Learning-Tandems – und sie mit Freiräumen im Arbeitsalltag kombinieren. Hinzu kommen klassische Maßnahmen wie ergonomische Arbeitsplätze, Bewegungs- und Achtsamkeitsangebote oder psychologische Beratung. Entscheidend ist jedoch, diese in eine mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur einzubetten. Denn eine Kultur, die Wertschätzung, Beteiligung und psychologische Sicherheit fördert, wirkt präventiv stärker als jedes Einzelangebot. Führungskräfte haben hier eine Schlüsselfunktion: Sie sollten Lernfortschritte anerkennen, Belastungen offen ansprechen und auch einmal geringere kurzfristige Produktivität akzeptieren, wenn Transformation stattfindet. So wird BGM nicht zur „Add-on-Maßnahme“, sondern Teil einer nachhaltigen Unternehmensstrategie, die Wohlbefinden, Motivation und Leistungsfähigkeit gleichermaßen stärkt.
Welche Chancen kann ein (digitales) betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) bieten?
Katharina Hochfeld: Ein digitales BGM eröffnet neue Möglichkeiten, Mitarbeitende individuell und niedrigschwellig zu unterstützen. Digitale Plattformen und Apps können Gesundheitsthemen wie Bewegung, Ernährung, Stressbewältigung oder Achtsamkeit jederzeit verfügbar machen – unabhängig von Ort und Arbeitszeit. Sie bieten personalisierte Inhalte, etwa durch Empfehlungen oder Feedback, und erleichtern den Einstieg, weil sie oft anonym und selbstgesteuert nutzbar sind. Gamification-Elemente oder Fortschrittsanzeigen erhöhen zudem die Motivation, dranzubleiben. Ein weiterer Vorteil liegt in der Datenseite: Digitale Tools ermöglichen es, Trends zu erkennen, Belastungen frühzeitig sichtbar zu machen und Angebote gezielt weiterzuentwickeln. Richtig eingesetzt können sie so zum strategischen Steuerungsinstrument werden. Wichtig ist allerdings, digitale Angebote nicht isoliert zu betrachten. Erst in Kombination mit einer Kultur, die Gesundheit und Lernen ernst nimmt, entfalten sie ihre Wirkung. Unternehmen zeigen damit: Wir investieren in die Gesundheit unserer Mitarbeitenden, nicht nur in Effizienz. Damit kann digitales BGM einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass Beschäftigte den digitalen Wandel nicht als Belastung, sondern als Chance auf mehr Wohlbefinden und Selbstwirksamkeit erleben.
KONTEXT
Das Fraunhofer IAO führt zurzeit mit der Arbeitgeberschmiede Südwestfalen ein Projekt zur Arbeitgeberattraktivität durch. Hier wurde eine Befragung von 60 Unternehmen in Südwestfalen durchgeführt und an einem repräsentativen Deutschen Benchmark gespiegelt. Ziel ist es, Unternehmen durch ein fundiertes Benchmarking zu unterstützen, ihre Attraktivität gezielt weiterzuentwickeln und die Wettbewerbsfähigkeit Südwestfalens als Wirtschaftsstandort zu stärken.