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SERIE: TECH-STARTUPS – Puraite

Wie KI systematische Literaturanalysen beschleunigt

Systematische Literaturanalysen, sogenannte Systematic Literature Reviews (SLRs), werten wissenschaftliche Studien aus und bilden die Grundlage für klinische Leitlinien und Medikamentenzulassungen. Das Startup Puraite will diesen Prozess mit Künstlicher Intelligenz (KI) grundlegend verändern. Co-Founder Schahin Baki erzählt, woher die Idee stammt und wie daraus ein Startup wurde.

Herr Baki, Sie sind jetzt schon einige Jahre im Gründungsbereich aktiv. Wie entstand die Idee zu Puraite und welches konkrete Problem wollen Sie lösen?

Schahin Baki: Mit unserem Hintergrund im KI-Bereich erkannten wir früh das Potenzial, KI als Schlüsseltechnologie in der Medizin zu etablieren. Auf SLRs als konkretes Problem stießen wir dann durch zahlreiche Gespräche mit Pharmateams und Forschenden, die uns verdeutlichten: Es dauert häufig Monate oder sogar Jahre, bis wissenschaftliche Evidenz industrielle Anwendung findet. Spätestens der „ChatGPT-Moment“ Ende 2022 zeigte, dass KI reif genug ist, um komplexe Prozesse wie SLRs zu automatisieren. Genau darin sahen wir die Chance, Engpässe zu beseitigen und den Zugang zu wirksamen Therapien erheblich zu beschleunigen.

Um eine solche Idee umzusetzen, braucht es auch ein starkes Team. Wie haben Sie sich als Gründungsteam zusammengefunden? Welche Erfahrungen und Kompetenzen bringen Sie jeweils ein?

Schahin Baki: Mein Mitgründer und ich haben uns in der garage33 kennengelernt, dem Gründungszentrum der Universität Paderborn. Ich selbst bin Wirtschaftsinformatiker und bei uns für Strategie und Business Development verantwortlich. Mein Co-Founder Dr. Karlson Pfannschmidt leitet als promovierter Informatiker im Bereich des maschinellen Lernens die Bereiche Engineering und Infrastruktur. Ergänzt wird unser Kernteam durch Entwicklerinnen und Entwickler sowie Beraterinnen und Berater aus den Bereichen Pharma und Methodik, die unsere Protokolle und Validierungen optimieren und uns wertvolle Einblicke in die Industrie geben.

Der Sprung von der Forschung in die Praxis ist oft eine Herausforderung. Wie sind Sie diesen Schritt angegangen und wie kann man sich die Integration in bestehende Arbeitsabläufe vorstellen?

Schahin Baki: Auf dem Weg in die Praxis wurden wir von Programmen wie Start-up Transfer.NRW und EXIST-Forschungstransfer unterstützt. So konnten wir in einem geschützten Umfeld an unserer Lösung arbeiten. Zugleich war uns wichtig, das Feedback der späteren Nutzerinnen und Nutzer früh einzubeziehen. Durch unser Co-Development mit Partnern aus der Pharmaindustrie und Auftragsforschungsinstituten läuft unsere Plattform heute bereits in ersten Pilotprojekten und integriert sich nahtlos in bestehende Arbeitsabläufe – von der Datenübernahme aus relevanten medizinischen Datenbanken bis hin zu exportfertigen Evidenztabellen für Value Dossiers. Gleichzeitig stellen wir durch Protokollierung, Quellenbelege und klare Qualitätsziele sicher, dass Ergebnisse auch bei wachsender Literaturmenge zuverlässig und nachvollziehbar bleiben. So beschleunigen wir Prozesse deutlich, ohne die Arbeitsweise grundlegend zu verändern.

Schauen wir uns diese Prozessbeschleunigung genauer an: Wie groß ist der tatsächliche Zeitgewinn in der Praxis?

Schahin Baki: Ohne Automatisierung dauert eine vollständige Review im Industriekontext oft sechs bis neun Monate, im Forschungsbereich sogar bis zu zwei Jahre, bei Kosten von bis zu 150.000 Euro. Mit Puraite verkürzen wir diese Prozesse je nach Anwendungsfall um mehrere Faktoren. Durch die Priorisierung relevanter Studien und die Generierung präziser Ergebnisse mit minimalem Labeling kann das Screening von Tausenden von Abstracts in wenigen Minuten bis Stunden erledigt werden. Zudem werden manuelle Überprüfungen reduziert. In Pilotprojekten konnten wir so eine Zeitersparnis von 60 bis 80 Prozent über den gesamten Workflow und eine deutliche Kostensenkung erzielen. Für uns ist aber noch viel wichtiger, dass Fachleute sich ohne diese repetitiven Aufgaben auf die wirklich relevanten Teile konzentrieren können: die Interpretation und Einordnung der Ergebnisse.

Welche langfristige Vision verfolgen Sie und welche konkreten Meilensteine möchten Sie in den kommenden Jahren erreichen?

Schahin Baki: Unsere Vision ist es, die zentrale Infrastruktur für Evidenzsynthese in der Medizin zu werden – von Pharma und Medizintechnik über klinische Leitlinien bis hin zur Nahrungsmittelindustrie. Die nächsten Schritte sind die Implementierung unserer Plattform bei unseren Pilotpartnern, der Aufbau belastbarer Benchmarks und eine On-Premise-Option für große Pharmaunternehmen. So schaffen wir die Grundlage dafür, dass Puraite den Goldstandard neu definiert und den Zugang zu medizinischem Wissen nachhaltig beschleunigt.

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