Nachhaltigkeit in der Veranstaltungsbranche

„Es geht um die Geschäfts- und Zukunftsfähigkeit“

Mehr als 30 Branchenverbände und Netzwerke der Green Economy und der Veranstaltungsindustrie werben für die „16 Steps Initiative“. Ziel ist es, bis 2025 gemeinsam mit der gesamten Branche Schritt für Schritt klimaneutral und nachhaltiger zu werden. Die einzelnen Maßnahmen beruhen auf dem Sustainability Rider von Stefan Lohmann. Im Interview erklärt der Speaker und Experte für Live-Entertainment was hinter dem Konzept steckt.

Stefan Lohmann, Experte für nachhaltiges Eventmanagement, hat eine klare Botschaft: „Die Zukunft der Wirtschaft ist klimaneutral – oder wir haben keine!“ 

(Foto: Stefan Lohmann)

Herr Lohmann, was haben Sie bereits umgesetzt? Ist Ihr Ziel, einen Mindeststandard bis 2025 zu erreichen, in greifbare Nähe gerückt?
Stefan Lohmann: Ziel der 16 Steps Initiative ist es, step by step gemeinsam voranzugehen und mit jedem Schritt einen Schritt weiterzukommen. Wer bis Ende 2025 alle 16 Schritte befolgt, ist klimaneutral aufgestellt. Und damit nachhaltig und zukunftsfähig! Die 16 Steps Initiative beruht auf meinem Sustainability Rider mit Checkliste. Die Idee des komprimierten Leitfadens ist, dass wirklich jeder und jede nachhaltige Veranstaltungen umsetzen kann. Die Zeit drängt, denn Deutschland muss laut Klimaschutzgesetz bis spätestens 2045 klimaneutral werden. In einigen Städten wie Köln, Düsseldorf und Frankfurt ist dieses Ziel schon 2035 zu erreichen und in Kassel sogar bereits 2030. Das bedeutet aber auch, alle Firmen müssen zu diesem Zeitpunkt klimaneutral agieren, weil nur so eine Stadt klimaneutral sein kann.

Wie viele und welche Branchen machen mit?
Diese Kampagne adressiert speziell die Veranstaltungswirtschaft. Allerdings hängen an unserer Branche viele weitere wie Tourismus, Verkehr, Logistik, Hotellerie, Lebensmittelbranche, Catering, Restaurants, etc.

Wo ist noch Handlungsbedarf notwendig? Welche Schwierigkeiten gibt es bei der konkreten Umsetzung in der Praxis?
Stefan Lohmann: Die Herausforderungen sind vielfältig. Zertifizierungen sind zeit- und personalaufwendig, aber immer mehr Eventagenturen entscheiden sich jetzt für die ISO 20121-Zertifizierung. Technikfirmen der Branche und einige Messen machen die EMAS-Zertifizierung. Auch Hotels, Locations und Cateringfirmen setzen immer häufiger auf Zertifizierungen. Wir kommen also tatsächlich step by step voran. Es bewegt sich etwas – aber wir sind als Branche noch lange nicht klimaneutral.
Eine Herausforderung ist zum Beispiel die Anreise der Gäste. Sie schlägt mit etwa 90 Prozent der Emissionen bei Großevents zu Buche. Eine Lösung könnte sein, mit der richtigen Kommunikation die Gäste über das Thema zu informieren, nachhaltige Lösungen anzubieten und die nachhaltige Anreise zu incentivieren. Das OMR-Festival ist damit sehr erfolgreich. Die Anreise wird dort zum Teil des Events, man verabredet sich in Zügen. Es wird cool, nicht mit dem Auto und dem Flugzeug anzureisen. Das ist eine großartige Entwicklung.
Zwar setzen immer mehr Anbieter auf Ökostrom. Doch beim Betreiben der Heizung und Kühlung besteht noch viel Handlungsbedarf. Hier können Wärmepumpen und andere nachhaltige Lösungen die Emissionen auf null setzen. Messe Berlin und Messe Köln sind 2028 soweit und werden dann keine CO₂-Emissionen mehr im gesamten Energiebereich produzieren. Das ist ein großer Erfolg, und andere werden hoffentlich schnell dem Beispiel folgen.
In der Abfall- und Kreislaufwirtschaft ist ebenfalls noch viel Luft nach oben. Hier wünsche ich mir ein stärkeres Engagement von Städten und Kommunen, denn sie kontrollieren die Gewerbeabfallverordnung und verhängen harte Strafen, wenn man sich nicht an die Vorgaben hält. Irritierenderweise gibt es kaum Strafzahlungen. Dabei trennen definitiv die wenigsten ihren Müll fachgerecht.

Es stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, dass Städte als Eigentümer von Messehallen, Locations und Stadien sich beim Gewerbeabfall selbst kontrollieren oder ob diese Aufgabe nicht in andere Hände gehört? Vielleicht würde man dann auch mehr Klarheit in Sachen Recyclingquoten erhalten. Denn diejenigen, die die Mülltrennung und das Recycling ernst nehmen, bekommen oft keine Recyclingquoten. Und Tatsache ist, noch immer wird sehr viel Gewerbeabfall in Müllverbrennungsanlagen entsorgt oder thermisch verwertet. Das hat nichts mit Recycling und Kreislaufwirtschaft zu tun. Das ist der falsche Ansatz, wenn wir als Wirtschaft und Gesellschaft klimaneutral werden wollen. Im Bereich Abfall sehe ich jedoch strukturelle Probleme, die wir als Branche nicht alleine lösen können.
Ein weiteres strukturelles Problem ist die fehlende Dekarbonisierung von Flügen, mit der wir uns als Branche auseinandersetzen müssen. Hier braucht es politische Unterstützung und nachhaltige Lösungen. Auch im Hinblick auf die E-Mobilität ist der Handlungsbedarf groß. Elektrische Lkw kommen erst sehr langsam auf den Markt. Zudem ist die Ladeinfrastruktur schlecht. Dabei könnte die Veranstaltungswirtschaft Teil der Lösung sein, indem die Locations zu Energy Hubs ausgebaut würden. Die Gebäude und die riesigen Parkplätze mit Solardächern auszustatten, wäre eine Möglichkeit, Energie herzustellen, diese vor Ort zu verteilen und Teil der Ladeinfrastruktur für Pkw, Lkw und den ÖPNV werden.
Das Gute ist, dass wir als Branche bereits über viele Lösungen verfügen, die bisher jedoch nicht umfassend etabliert sind. Das ist aber notwendig, damit nachhaltiges Wirtschaften zum Standard wird. Leider wird das Potenzial der Veranstaltungswirtschaft für eine schnelle Transformation noch immer unterschätzt. Und das nicht nur von der Branche selbst, sondern auch von der Wirtschaft und Politik. Denn wir erreichen alle Wirtschaftszweige und nahezu alle Bürgerinnen und Bürger mehrfach pro Jahr auf eine emotionale Art und Weise. Wir bringen Menschen zusammen, nehmen Ängste und sorgen für Begeisterung und kulturellen Austausch. Wir können nachhaltige Lösungen erlebbar machen.

Wo liegen die künftigen Herausforderungen der Veranstaltungsbranche?
Stefan Lohmann: Es muss uns gelingen, Auftraggeber, Veranstalterinnen, Firmen und die öffentliche Hand dazu zu bringen, nachhaltige Events zu beauftragen und nur mit nachhaltigen Anbietern zu arbeiten. Solange nur das günstigste Angebot zählt, wird eine Transformation und ein Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen nicht möglich sein.

Welche Handlungsempfehlungen geben Sie Unternehmen der Veranstaltungsbranche im Hinblick auf die Umsetzung von mehr Nachhaltigkeit?
Stefan Lohmann: Ich bin überzeugt, vielen ist noch nicht bewusst, dass Nachhaltigkeit kein „Nice to have“, sondern die Zugangsberechtigung zum größten und disruptivsten Markt der Zukunft ist. Und dieser ist klimaneutral. Es geht also nicht darum, etwas Gutes für die Umwelt zu tun. Vielmehr entscheiden Banken über Kreditkonditionen je nachdem, wie nachhaltig eine Firma ausgerichtet ist. Nicht nachhaltig aufgestellte Unternehmen gelten als nicht zukunftsfähig und erhalten daher ein schlechtes Ranking. Das Geschäft ist zu risikoreich. Hier wird deutlich, beim Thema Nachhaltigkeit geht es also eigentlich um die Geschäfts- und Zukunftsfähigkeit. Wer aktuell nicht das Geld und die Ressourcen für eine Zertifizierung hat, kann mit dem Sustainability Rider und der Checkliste dennoch nachhaltige Veranstaltungen umsetzen und die Vorgehensweise auf seine eigene Firma übertragen, um diese nachhaltig aufzustellen.

Ich kann jedem Unternehmen nur empfehlen, eine Klimabilanz mit Scope eins bis drei anzufertigen, um die eigenen CO₂-Emissionen zu ermitteln und diese dann nach und nach zu reduzieren. Das verlangt keine hohen Investitionen. Zusätzlich rate ich, einen Nachhaltigkeitsbericht nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) zu erstellen. Eine Maßnahme, für die man ebenfalls nicht viel Geld in die Hand nehmen muss. Damit schafft man eine Vergleichbarkeit und Datengrundlage, mit der Auftraggeberinnen und Auftraggeber arbeiten können, die bereits berichtspflichtig sind. Im Übrigen absolvieren alle Bundesbehörden aktuell eine EMAS-Zertifizierung, das heißt, ab spätestens 2025/2026 werden die Behörden auch entsprechend einkaufen und Daten verlangen. Darauf sollte man vorbereitet sein.

Ein Blick in die Zukunft: Welche Rolle spielt KI, um die nachhaltige Entwicklung voranzutreiben?
Stefan Lohmann: KI verändert bereits im kreativen Bereich die Prozesse unserer Branche und wird bei Abläufen, Einladungsmanagement, Anmeldeprozessen, Logistik, Planung, Eventauswertung etc. und bei typischem Informationsbedarf von Gästen viel Zeit und Personal einsparen können. Das hilft hoffentlich, demextremen Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Ich will die Gefahr, die von KI insgesamt ausgeht, nicht schmälern. Aber aktuell sehe ich eher die Chancen, die durch auf spezielle Gebiete trainierte KI entstehen und unsere Branche stärken können – vorausgesetzt die Server werden mit Ökostrom betrieben. Der Energieverbrauch und die CO2-Emissionen sind enorm, auch durch den Bau von neuen Rechenzentren, deren Abwärme wir unbedingt nutzen sollten.

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