Wissenssicherung

Wissen, wie es geht

Wissen ist die wichtigste Ressource eines Unternehmens und ein strategischer Wettbewerbsfaktor. Damit dieses nicht verloren geht, wenn Beschäftigte den Betrieb verlassen, müssen Verantwortliche rechtzeitig handeln. Wissenstransfer ist das Zauberwort.

Unternehmer Wolfgang Müller weiß, dass er in den kommenden fünf Jahren einige seiner langjährigen Mitarbeiter altersbedingt verlieren wird. Und ihm ist auch klar, dass mit ihnen ihr Wissen und ihre Erfahrung in den Ruhestand gehen. Doch er ist vorbereitet. In den letzten Jahren hat er altersgemischte Teams aufgebaut und generationenübergreifende Lern- und Arbeitsprozesse geschaffen. Im Miteinander der Generationen können beide Seiten profitieren: Sie lernen voneinander, geben ihr Wissen ganz nebenbei weiter und lernen sich gegenseitig zu respektieren, Wertschätzung zu zeigen sowie das Verständnis füreinander zu steigern.

Den Wert älterer Beschäftigter weiß auch der Intralogistikspezialist Westfalia zu schätzen. Für die Betreuung langjähriger Bestandskunden hat er erfahrene Mitarbeiter aus dem Ruhestand zurückgeholt, um auf das Erfahrungswissen der Routiniers aus frühen Projekten zurückzugreifen.

Beim Medizintechnikunternehmen Brasseler steht das Wissensmanagement auf mehreren Säulen, wie Stephan Köhler, Sprecher der Geschäftsführung betont: „Unsere Ausrichtung nach Lean Prinzipien bringt Prozesstransparenz, die Ausrichtung am Kunden und eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung. Generative Künstliche Intelligenz hilft uns, dokumentierte Firmenkompetenz mit externem Wissen individuell zur Verfügung zu stellen. Hier stehen wir am Anfang, sehen aber ermutigende Ergebnisse aus Pilotprojekten. Unser Aus- und Weiterbildungskonzept ist die dritte Säule.“ In der Summe seien diese Maßnahmen noch nicht ausreichend, um dem demografischen Wandel zu begegnen. Deshalb seien weitere Anstrengungen notwendig, so Köhler. 

„Die Unternehmen sind sich der Bedeutung der Problematik bewusst und sie wissen auch um die Konsequenzen des Wissensverlusts durch den Abgang von Mitarbeitenden“, sagt Prof. Dr. Angelika Röchter. Erhöhte Kosten, Zeitverlust und Störungen im Prozessablauf gelten als besonders relevant. Zudem sehen sie eine Gefährdung der Geschäftsgrundlage, den Zusammenhalt und den Verlust wichtiger Kunden als mögliche negative Begleiterscheinungen.

Die Dekanin der Fakultät Betriebswirtschaft lehrt an der Fachhochschule der Wirtschaft (FDHW) Paderborn und weiß durch zahlreiche Gespräche um die Wichtigkeit dieser Thematik in den Unternehmen. Wissen gilt längst als strategischer Wettbewerbsfaktor. „Bis 2035 verlassen rund sieben Millionen erfahrene Arbeitskräfte ruhestandsbedingt ihre Unternehmen. Mit ihnen geht über Jahre hinweg erworbenes wertvolles Wissen verloren. Dieses Erfahrungswissen auch für kommende Nachwuchstalente zugänglich zu machen, ist eine Herausforderung, denen sich Betriebe stellen müssen“, sagt die Wissenschaftlerin, die zusammen mit Professor Dr. Christian Ewering im Rahmen des Kompetenzzentrums Arbeitswelt.Plus zu der Thematik forscht. Wenn es darum gehe, das Wissen erfahrener Mitarbeitender zu erfassen, um es im Unternehmen verfügbar zu machen, stießen herkömmliche Ansätze des Wissensmanagements häufig an ihre Grenzen, hat Professorin Röchter festgestellt. Mit neuen Technologien und KI eröffnen sich auch für kleine und mittelständische Unternehmen neue und innovative Wege, der Herausforderung zu begegnen.

Wenn es um die Sicherung der wertvollen Ressource Wissen geht, unterscheidet man das sogenannte explizite und implizite Wissen. Das bewusste und gut in Zeichen erfassbare Wissen sowie die Dokumentation von Daten in Checklisten und Handbüchern gilt als explizites Wissen. Dem gegenüber steht das implizite Wissen, das als nicht-formalisiert allein im Kopf der Person existiert. Dieses Erfahrungswissen lässt sich durch persönliche Interaktion zum Beispiel durch gezielten Einsatz von Lerntandems, Mentoring oder altersgemischte Teams sichern. Instrumente, die der FHDW-Studie zufolge von etwa einem Drittel der befragten Unternehmen angewendet wird.

„Wenn Mitarbeitende erleben, dass Vertrauen, Fehlertoleranz und Authentizität Säulen des Unternehmensleitbilds sind, dann befördert das die Bereitschaft, Wissen weiterzugeben.“

Der Einsatz von Software und Technologie im Wissensmanagement geschieht bei der Hälfte der Unternehmen über einfache Office-Anwendungen. Bei der Nutzung neuer Technologien und KI ist also noch viel Luft nach oben. Fehlendes Know-how bei den Mitarbeitern und unzureichende IT-Personalressourcen sind laut der Studie die am häufigsten genannten Gründe für die seltene Anwendung von KI. Groß ist zudem der Qualifizierungsbedarf, insbesondere wenn es um ein besseres allgemeines Verständnis für KI und die technische Umsetzung geht.

Wissenserhalt und -transfer war schon immer ein wichtiges Thema, hat jedoch in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Ein Grund liegt in der zunehmenden Schnelllebigkeit der digitalen Welt. Wissen ist heute deutlich schneller veraltet als noch vor einem oder zwei Jahrzehnten. Hinzu kommt der bevorstehende Generationenwechsel, der dafür sorgt, dass viele altgediente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Unternehmen verlassen. Wissenstransfers sind jedoch nur erfolgreich, wenn die dafür erforderlichen Strukturen existieren und Bestandteil der Unternehmenskultur sind. Diese zeichnet sich durch den lebendigen Austausch von Kenntnissen und der Vermittlung von Fähigkeiten zwischen Mitarbeitenden aus. Räumliche und arbeitsorganisatorische Möglichkeiten können motivierend wirken. Sehr hilfreich ist es auch, wenn das Wissensmanagement in der Organisation klar verankert ist, d.h. wenn es Personen gibt, die das Wissensmanagement im Unternehmen gezielt unterstützen und fördern.

Die im Unternehmen vorherrschenden Werte spielen für den Wissenstransfer eine große Rolle. „Wenn Mitarbeitende erleben, dass Vertrauen, Fehlertoleranz, Zusammenarbeit und Authentizität Säulen des Unternehmensleitbilds sind und eine Offenheit für Neues herrscht, dann befördert das die Bereitschaft, Wissen weiterzugeben“, so Dr. Röchter. Auch Anreizsysteme stellen eine Möglichkeit dar, das Wissensmanagement im Unternehmen zu unterstützen. Denkbar sei es zum Beispiel, Wissenstransfer als Element im Rahmen von Mitarbeiterbeurteilung und Zielvereinbarungen zu berücksichtigen oder Prämien abhängig von Team-, Bereichs- und Unternehmensergebnissen auszuloben. Man könne auch darüber nachdenken, Zeit und Freiraum anzubieten statt monetärer Anreize. Grundsätzlich gehe es darum, dass Wissenstransfer für die Betroffenen einen Nutzen schafft.  

Häufig sei aber die Bereitschaft, Wissen weiterzugeben, auch intrinsisch motiviert, so Professorin Röchter. Mitarbeitende, die sich mit dem Unternehmen oder Projekt identifizieren und in einer positiven Arbeitsatmosphäre tätig sind, sind eher bereit, Wissen zu teilen. Gerade ältere Mitarbeiter verspüren nicht selten den Wunsch, ihre Erfahrungen an jüngere weiterzugeben. Dabei spielt auch die Wertschätzung als Experte eine große Rolle.

Wissenstransfer ersetzt fehlende Mitarbeiter

Wie mit Hilfe einer intelligenten Software Expertenwissen und Service in der Industrie weitergegeben wird, zeigt das Geschäftsmodell des vor zwei Jahren gegründeten Startups FINDIQ. „Wir wissen alle, dass in den nächsten Jahren mehr Menschen den Arbeitsmarkt verlassen und zu wenige nachkommen. Der Mangel an Servicefachkräften wird zu einem ernsthaften Problem. Außerdem werden die Maschinen komplexer, Expertenwissen wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor“, sagt Sina Kämmerling, Gründerin und CEO von FINDIQ. Das junge Unternehmen geht über das Thema Wissenstransfer an die Problematik heran und unterstützt Maschinenbauer dabei, das Wissen ihrer Servicemitarbeiter zu sammeln, zu strukturieren und für alle Mitarbeiter aufzubereiten, völlig unabhängig von mechanischem, elektronischem oder verfahrenstechnischem Expertenwissen.  

Mit einigen intelligenten Lösungen hat FNDIQ bereits gezeigt, wie die Industrie auf den Fachkräftemangel und den Wissenserhalt reagieren kann.

Die Wartung einer Maschine beim Kunden ohne Servicemitarbeiter durchzuführen, ist längst keine Vision mehr. Ein Softwaremodul für die Wartungsroutine unterstützt den Mitarbeiter an der Maschine, Schritt für Schritt ein Bauteil auszuwechseln. Ganz so, als ob ein Experte neben ihm stehen würde und ihm sagt, was er zu tun hat.

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