Wie Unternehmen ihre Auszubildenden motivieren und langfristig halten, erklärt Persönlichkeitstrainerin Sonja O´Reilly.
Etwa 155.000 Ausbildungsverträge wurden in 2022 Jahr nach Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung vorzeitig beendet. Wo liegen die entscheidenden Gründe für diesen negativen Trend?
Sonja O´Reilly: Hier ist einerseits die mangelnde Vorbereitung junger Menschen aufs Berufsleben zu sehen. Ein wenige Wochen umfassendes Praktikum während der Schulzeit eröffnet nur unzureichende Einblicke ins Berufsleben. Hinzu kommt, dass viele Kinder im häuslichen Umfeld keine Berufsvielfalt erleben. In vielen Familien mit Migrationsgeschichte sind Eltern nicht in Deutschland zur Schule gegangen. Sie können trotz Engagement keine Vorbildfunktion übernehmen. Damit fehlt vielen Kindern – und das sind sie noch mit teilweise 15 Jahren bei der Bewerbung – einfach die Grundlage für eine gute eigene Entscheidung. Unser Gehirn und unsere Entscheidungskompetenz reifen noch bis wir etwa Mitte zwanzig sind. Letztlich ist auch der Punkt des Durchhaltevermögens anzumerken. Fordern wir dieses ausreichend von unseren Kindern?
Auf der anderen Seite zeigen unsere Beobachtungen, dass es in den Unternehmen häufig an Verständnis im Umgang mit der jungen Generation mangelt. Junge Mitarbeitende wünschen sich oft Mitgestaltung, Wertschätzung und Feedback – eine Kultur, die nicht in allen Betrieben gelebt wird. Arbeit gilt heute oft als Teil eines gesamten Lebensmodells, welches auch mit Hobbies, Familie oder dem Wunsch nach persönlicher Erfüllung harmonieren soll. Hierauf müssen sich Arbeitgeber einstellen und die Bedürfnisse ihrer jungen Mitarbeitenden kennen. Gleichzeitig schockieren aber auch mangelnde Kenntnisse in Rechtschreibung oder Mathematik. Hier hilft es allerdings nicht, nur mit Vorwürfen zu reagieren. Gute Strukturen für Nachhilfe zum Beispiel durch Azubis untereinander oder betriebsübergreifend, können hier ein besserer Ansatz sein.
Was müsste sich in den Unternehmen ändern, damit junge Menschen ihre Ausbildung erfolgreich absolvieren und als Nachwuchskraft an Bord bleiben?
Sonja O´Reilly: Junge Menschen werden heute mit Herausforderungen wie Ressourcenknappheit, Klimawandel und Kriege konfrontiert. Mit diesen Themen setzen sie sich auseinander, sie sind besorgt um die Zukunft. Um diese tiefgreifenden Probleme zu bewältigen, brauchen wir auch Mitdenkende innerhalb der jungen Generation. Es ist gut, wenn sie sich engagieren. Da ist es nur verständlich, dass sie sich auch an ihrem Arbeitsplatz einbringen möchten. Sie wollen mitgestalten und partizipieren. Das ist wichtig und gibt ihnen das Gefühl, gebraucht und gehört zu werden. Betriebe können ihre jungen Mitarbeitenden in Projekte und Ideenfindung einbeziehen, ihnen Verantwortung im angemessenen Rahmen übertragen und ihre Meinung anhören.
Gleichzeitig führt die gesamtgesellschaftliche Entwicklung wie steigende Fremdbetreuung mit teilweise zu wenig Personal, verschiedene Sprachen und Kulturen, getrennte Familien und hoher Medienkonsum zu einem wachsenden Bedarf an Verständnis und gesellschaftlichem Miteinander. Das bedeutet: Wir alle tragen Verantwortung für die Entwicklung unserer Kinder und Zukunftsgestalter. Für Unternehmen kann das heißen, bewusst Mentoren und Mentorinnen sowie Nachhilfe zu stellen. Wir können nicht davon ausgehen, dass ein junger Mensch mit 16 Jahren bereit ist, diese Verantwortung für sich selbst und seine Ausbildung allein zu tragen. Das gelingt oft auch noch nicht mit 18 Jahren.
Welche Faktoren motivieren junge Menschen besonders, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren und sich wohlzufühlen?
Sonja O´Reilly: Es gibt, wie bei uns allen, natürlich verschiedene Faktoren, die motivieren. Bei manchen ist es die lukrative Vergütung, das Azubi-Car oder das Fahrtgeld. Bei anderen sind es die Werte, die ein Unternehmen vertritt im Bereich Weiterbildung und Nachhaltigkeit. Oder die Möglichkeit, mitgestalten zu können. Hier finden wir definitiv verschiedene Motivationsfaktoren. Entscheidend ist, dass die Situation und Persönlichkeit des Einzelnen wahrgenommen werden. Dann wird sich auch der passende Motivationsfaktor dazu zeigen.
Können Sie ein Beispiel nennen, das zeigt, wie sich ein motivierendes Arbeitsumfeld umsetzen lässt?
Sonja O´Reilly: Eine offene Kultur für Gespräche und Feedback ist ganz wichtig. Wertschätzung und Respekt untereinander sollten für das gegenseitige Verständnis fest verankert sein. Eine Gemeinschaft, in der Teamevents stattfinden, gemeinsam Sport gemacht wird und sich das Unternehmen für die Umwelt einsetzt, trifft natürlich den Zahn der Zeit. Hier kenne ich einige Betriebe, die Laufgruppen organisieren, sich gemeinschaftlich sozial engagieren oder Azubi-Projekte fest im Ausbildungsablauf verankern. Ein motivierender Baustein in der Ausbildung ist auch, gemeinsam mit anderen Auszubildenden ein Projekt auf die Beine zu stellen, wie einen Fahrrad-Ständer bauen oder den nächsten Tag der offenen Tür organisieren.
Sonja O´Reilly bietet auf dem 9. Deutschen Ausbildungsforum einen Workshop zum Thema „Azubis motivieren und als Fachkräfte behalten durch Partizipation“ an. www.deutsches-ausbildungsforum.de