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Nachhaltigkeit in der Kunststoffbranche

Digitalisierung als Gamechanger beim Recycling von Kunststoffen

Dr. Ron Brinitzer, Geschäftsführer kunststoffland NRW e.V., über die ressourcenschonende Kunststoffproduktion und wie die Digitalisierung beim Recycling von Kunststoffen helfen kann.

Herr Dr. Brinitzer, wie viele Tonnen Kunststoffe werden pro Jahr in Deutschland produziert?

Ron Brinitzer: Die gesamte Kunststoffproduktion in Deutschland betrug im Jahr 2021 etwa 21,1 Millionen Tonnen. Damit ist alles gemeint, also sowohl fossil und biobasiert als auch Sekundärrohstoffe und Nebenprodukte sowie sonstige Kunststoffe in Klebern, Farben, Lacken, Fasern. Hier ist allerdings zu beachten, dass wir inzwischen aufgrund von hohen Energiepreisen, Inflation und Zinserhöhungen massive Nachfrage- und damit auch Produktionseinbrüche zu verzeichnen haben. Zurzeit läuft die Datenerhebung zur Aktualisierung der Zahlen und darin wird sich vermutlich die derzeitige schlechte Situation niederschlagen.

Dr. Ron Brinitzer, Geschäftsführer Kunststoffland NRW e.V

Wo kommen Kunststoffe zur Anwendung?

Ron Brinitzer: Der Werkstoff Kunststoff kann über Zusatzstoffe mit allen möglichen Eigenschaften versehen werden – das ist ja das Tolle an diesem Werkstoff! Kunststoffe haben sich deshalb in so vielen Bereichen durchgesetzt, weil sie im Vergleich zu anderen Materialien funktional, ökonomisch und oft auch ökologisch bessere Lösung darstellen. Die meisten denken bei Kunststoffen nur an Verpackungen, aber weil Kunststoffe so vielfältig sind, finden sie sich in so ziemlich allen Bereichen wieder, vom Konsumprodukt über den Bau bis hin zu technischen Teilen.
Hauptsektor in Deutschland ist die Baubranche, in der 2021 rund 27 Prozent des Kunststoffs verbraucht wurden. Hier handelt es sich überwiegend um Rohre oder Tür- und Fensterprofile, mit langen Nutzungsdauern von oft mehr als einem halben Jahrhundert. Danach kommt die Verpackungsindustrie, in der gut 26 Prozent der Kunststoffe eingesetzt wurden. Große Sektoren waren auch die Elektro- und Elektronikindustrie, wohin knapp acht Prozent gingen, dicht gefolgt vom Automobilsektor, in dem etwa sieben Prozent der Kunststoffe verarbeitet wurden. Alles andere, immerhin rund 31 Prozent, sind kleinere Sektoren, wie etwa der Sport- und Freizeitbereich.

Wie entwickeln sich die Verwertungspfade für Kunststoffabfälle?

Ron Brinitzer: Der Weg vom Kunststoffabfall zu einem Kunststoffprodukt ist immer noch ein langer und viel zu steiniger. 2021 wurden in Deutschland rund 5,67 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle gesammelt. Der Großteil, fast 96 Prozent, stammen von Endverbrauchern. In die Deponierung gelangt fast nichts mehr. Die Abfälle aus der Wertstofftonne werden zunächst gesammelt und dann sortiert. Das ist gerade bei Konsumentenabfällen extrem aufwendig. Das fängt bei Fehlwürfen in der Gelben Tonne an – hier geht man in etwa von einer Quote von 30 % aus – die aus dem Müll gefischt werden müssen. Die Schwierigkeiten gehen weiter bei Verbundverpackungen: Wenn eine Verpackung aus mehreren Kunststoffen oder sogar Materialien besteht, die fest verbunden sind, wird die Verpackung bei der maschinellen Sortierung entweder dem einen oder dem anderen Material zugeordnet. Das ist am Ende beides falsch, wenn man das Ziel einer möglichst hohen Sortenreinheit verfolgt. Und die Probleme, um hier nur einige zu nennen, enden schließlich bei der Farbe – dunkle Farben sind als Rezyklat schlecht zu gebrauchen und schwarz wird von Sortieranlagen meist gar nicht erkannt. Alles, was bei diesem Prozess nicht in den Kreislauf zurückgeführt werden kann – immerhin fast 53 Prozent, gelangt in die Verbrennung.
Von dem Rest geht ein Teil zur Verwertung ins Ausland und der verbleibende Teil – rund 26 Prozent der Abfallmenge – wird gereinigt, aufgeschmolzen und neu granuliert. Er steht dem Markt für eine neue Verwendung zu Verfügung. On-top kommen 0,64 Millionen Tonnen Produktionsreste, die als Nebenprodukte wieder aufbereitet und dann sofort wieder für die Neuproduktion verwendet werden.

Was tut sich beim Rezyklateinsatz?

Ron Brinitzer: Wir tun hier eine Menge, aber wir müssen uns da ehrlich machen: Das reicht noch lange nicht. Bezogen auf die verarbeitete Kunststoffmenge betrug der Rezyklatanteil 2021 in Deutschland etwas mehr als 16 Prozent. 2017 waren es noch etwas über zwölf Prozent. Wir kommen also voran, aber das muss trotz der geschilderten Herausforderungen unbedingt mehr werden(…)!
Dazu gehört auch die Anerkenntnis, dass wir kluge Veränderungen im gesetzlichen Rahmen brauchen, die das Recycling fördern. Richtig bemessene Rezyklateinsatzquoten, wie sie in Brüssel diskutiert werden, sind per se ein Instrument, das die bislang stark schwankende Rezyklatnachfrage verstetigt und damit Unsicherheit von den Recyclern verringert. Eine an der Recyclingfähigkeit anknüpfende Plastiksteurer kann die Rezyklatproduktion erhöhen. Eine Anerkennung des chemischen Recyclings in der Verpackungsverordnung mit einer eigenen Quote oder der Massebilanzierung unterstützen Investitionen in diese neue Recyclingart, die zusätzliche, bisher nicht recyclingbare Mengen erschließen würde. Hier ist ein breiter Instrumentenmix nötig.

Wie wird das Thema „Nachhaltigkeit“ in der Kunststoffindustrie definiert? Und wie lässt sich diese messen?

Ron Brinitzer: Nachhaltigkeit zu operationalisieren, ist ziemlich schwierig. Da gibt es erst mal die drei Dimensionen von Nachhaltigkeit: Soziales, Wirtschaft und Umwelt, die in die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der UN übersetzt werden, die wiederum 169 Unterziele haben, die zum Teil sehr widersprüchlich sein können. Der Ersatz von fossil basierten Kunststoffen durch biobasierte Kunststoffe kann zum Beispiel einen Beitrag zur Ressourcenschonung leisten. Aber man muss dann aufpassen, dass die Biomasse auch nachhaltig angebaut wird und nicht zur Ausweitung großer Monokulturen führt oder die Ressource Wasser beeinträchtigt, um nicht gegen andere Nachhaltigkeitsziele zu verstoßen.

m&w: Worum geht es denn eigentlich bei Nachhaltigkeit?

Ron Brinitzer: Es geht um die Belastbarkeit unseres Planeten, um die planetaren Grenzen. Im Moment kann man festhalten, dass wir – und das beziehe ich nicht allein auf die Kunststoffindustrie – bei ganz vielen Dimensionen gegen das, was der Planet langfristig tragen kann, verstoßen. Das macht klar: Wir leisten auf jeden Fall einen Beitrag zur Nachhaltigkeit, wenn wir unseren Verbrauch von Energie und Ressourcen verringern und effizienter werden. Und wenn man sich dann anschaut, wo der größte Hebel in der Kunststoffindustrie dazu liegt, dann ist das zunächst die massive Erhöhung des Rezyklateinsatzes, durch die der Ressourcen- und Energieverbrauch der Branche drastisch reduziert werden kann. Daneben sind biobasierte Kunststoffe, bei denen der Kohlenstoff als zentrales Element von Kunststoffen aus der Luft über die Photosynthese in die Pflanze und dann in den Kunststoff gelangt, ein Teil der Lösung. Und irgendwann einmal wird es vielleicht auch wirtschaftlich darstellbar sein, den Kohlenstoff der Luft direkt zu verwenden.

Kunststoff ist ein Schlüsselmaterial für Innovationen. Wie gelingt es, möglichst wenig Ressourcen und Energie bei der Produktion zu verbrauchen?

Ron Brinitzer: Zunächst: Ja, das ist richtig. Kunststoff ist ein Schlüsselmaterial von Innovationen: Kein Windrad, kein Elektroauto, kein Computer ohne Kunststoff. Dessen muss man sich bewusst sein: Wir sind auf diesen Werkstoff bei der Lösung der großen Menschheitsprobleme angewiesen.

Die chemische Industrie, die Kunststoffe aus Erdöl herstellt und die Cracker betreibt, gehört zu energieintensiven Industrien. Sie ist seit Jahren, allein aufgrund des Kostendrucks, intensiv dabei, energie- und ressourceneffizienter zu arbeiten und die Einsparerfolge sind beachtlich. Das gilt erst recht in der heutigen Situation, in der Erdgas im Shale Cresent in den USA sieben- bis achtmal billiger ist als hier. Ein enormes Einsparpotential bei der Herstellung von Virgin Material vergleichbaren Qualitäten kann das chemische Recycling schaffen. Hier wird anstelle von neuem, aus Rohöl gewonnenem Kohlenstoff der bereits in Kunststoffprodukten gebundene und in Umlauf befindliche Kohlenstoff genutzt. Anders als beim herkömmlichen werkstofflichen Recycling werden die Kunststoffe dabei allerdings wieder in ihre molekularen Ausgangsbausteine zerlegt, die dann als Rohmaterial zur erneuten Polymerproduktion verwendet werden können. Hierdurch werden bislang nur schwer zu recycelnde Kunststoffe wiederverwertbar. Werkstoffliches und chemisches Recycling ergänzen sich also. Verglichen mit dem werkstofflichen Recycling wird hier klar mehr Energie notwendig, aber im Vergleich zur Virgin-Produktion lässt sich so Energie einsparen.

Und was ist mit den Kunststoffprodukten selbst: Wie lassen sich diese möglichst ressourcenschonend produzieren und ihre Recyclingfähigkeit verbessern?

Ron Brinitzer: Auch bei der Weiterverarbeitung zu Produkten lässt sich viel machen. Ressourcenschonende Produktion fängt sicherlich bei der Materialauswahl an: Ein hoher Rezyklatanteil oder die Verwendung von biobasierten Kunststoffen ist Teil eines geschlossenen Kohlenstoffkreislaufs und bedeutet zugleich den Verzicht auf fossilbasierte Neuware. Auch die verwendeten Verfahren haben einen Einfluss auf die benötigte Materialmenge und den Energieeinsatz: Ist ein Teil massiv herzustellen oder lässt sich dieselbe Funktionalität unter Umständen über geschäumten Spritzguss darstellen? Was auch bei der Nutzung über Gewichtsersparnis einen positiven Umweltnutzen erzeugen kann. Wird auf modernen Maschinen und Anlagen gearbeitet, bei denen die Abwärme ausgekoppelt und als Nutzwärme eingesetzt wird? Ansatzpunkte für eine nachhaltige Produktion gibt es viele. Für den ökologischen Fußabdruck aber viel entscheidender ist vermutlich die Produktgestaltung, weil von ihr die Recyclingfähigkeit eines Produktes abhängt. Wird das Produkt aus Monomaterial hergestellt oder einem Materialverbund? Ist es durchsichtig oder zumindest hell oder dunkel durchgefärbt? Ist ein Etikett oder ein Aufdruck leicht zu lösen oder nicht? Ich bin überzeugt, dass ein konsequentes Design for Recycling (D4R) gerade bei Verpackungen zu einem großen Anstieg der Recyclingfähigkeit führen kann. Deshalb plädieren wir dafür, die Diskussion um die Plastiksteuer jetzt zu nutzen und die Recyclingfähigkeit als Anknüpfungspunkt für die finanzielle Belastung in den Mittelpunkt zu rücken, so wie das im § 21 Verpackungsgesetz bei der Ausgestaltung der Beteiligungsentgelte für die Dualen Systeme vorgesehen war.

Stichwort Digitalisierung: Welche innovativen Technologien und Lösungen können dabei helfen, ressourcenschonend und energieeffizienter zu produzieren?

Ron Brinitzer: Zunächst einmal stellt Digitalisierung wie überall im produzierenden Gewerbe über eine smarte Auswertung der von den vielen Sensoren in den Verarbeitungsmaschinen generierten Daten eine Möglichkeit dar, Ausschuss zu verringern, den Energieeinsatz zu senken und Stillstandszeiten zu minimieren. Stichworte sind hier KI oder Predictive Maintenance.

Aber in Bezug auf das Recycling von Kunststoffen hat Digitalisierung ein viel größeres Potential und ist vielleicht ein Gamechanger. Was macht das Kunststoffrecycling so schwierig? Nicht nur die Tatsache, dass es unheimlich viele unterschiedliche Kunststoffe gibt, sondern dass sie mit den unterschiedlichsten Zusätzen, die jeweils auf den Verwendungszweck zugeschnitten sind, mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften ausgestattet werden können. Jeder Kunststoff ist also in sich bereits ein Materialverbund. Der Recycler weiß in den meisten Fällen deshalb gar nicht so genau, was er da aus den unterschiedlichsten Inputströmen so vor sich hat. Die Inhaltsstoffe sind aber für eine weitere Verwendung extrem wichtig. Nicht alles, was so in das Rezyklat gelangt, ist lebensmitteltauglich, weshalb gerade dort keine Rezyklate einsetzbar sind. Ein digitaler Produktpass, der den Lebensweg eines Kunststoffs von der Entstehung bis zum Recycling auf jeder Stufe digital erfasst und der einer Ware eindeutig zugeordnet werden kann, würde Klarheit darüber geben, was auf dem Lebensweg des Kunststoffs an Stoffen eingearbeitet wurde, mit was für Materialen er in Berührung gekommen ist und welche Lebensdauer er hinter sich hat. Dadurch könnte die Güte des Rezyklats enorm steigen.

Und wenn wir das Rezyklat erst einmal haben, dann wollen wir es auch wieder maßgeschneidert für neue Verwendungen anpassen. Das ist aber schwieriger, weil im Grunde jede Rezyklatcharge aus anderem Inputmaterial besteht und deshalb ein wenig anders zusammengesetzt ist. Hier kann KI dazu beitragen, individuelle Additivrezepturen zu erstellen, die eine optimale Funktionalität des Materials gewährleisten. Sie sehen: Digitale Lösungen können hier ganz neue Welten eröffnen.

kunststoffland NRW – Das Netzwerk der Kunststoffindustrie

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