Arbeitskräfte sind in einigen Betrieben Mangelware, in anderen werden sie nicht mehr gebraucht – eine paradoxe Situation. Die Agentur für Arbeit Detmold möchte hier gegensteuern und wirbt für die Arbeitsmarktdrehscheibe: Hier wandern Arbeitskräfte von einem Unternehmen in ein anderes.
Wenn die Zeiten schwierig sind, die Aufträge wegbrechen und die Krise sich weiter zuspitzt, dann greifen viele Unternehmen zu den gängigen Maßnahmen: Sie schicken Fachkräfte in den Vorruhestand, handeln Abfindungen und attraktive Freiwilligenprogramme aus oder gründen Transfergesellschaften. Wenn das nicht reicht, sprechen sie betriebsbedingte Kündigungen aus und entlassen Beschäftigte.
Für Rainer Radler eine Situation, die er unbedingt vermeiden möchte. „Wir möchten viel eher ansetzen und konkrete Lösungen entwickeln, bevor all diese Maßnahmen greifen. Unser Ziel ist es, vor diese Welle zu kommen und damit den Abgang von gut qualifizierten Menschen aufzuhalten“, sagt der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Detmold. Der Gang in die Arbeitslosigkeit sei das letzte Mittel. Insbesondere Menschen ab Mitte fünfzig würden dann schnell verschiedene Ausstiegsprogramme in Anspruch nehmen oder vorzeitig in den Ruhestand gehen. „Ich erlebe immer wieder, wie qualifizierte Fachkräfte sich für den Vorruhestand entscheiden. Das können wir uns nicht leisten. Wir haben ein echtes Fachkräfteproblem. Und das ist seit Langem bekannt“, so Radler. „Und wenn ältere Menschen weiterarbeiten, hilft das nicht nur unserem Arbeitsmarkt, sondern auch den Betroffenen selbst.“
Mir geht es darum, dass Menschen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, erst gar nicht arbeitslos werden.
Statistische Erhebungen hätten bereits vor einigen Jahren gezeigt, dass in Lippe in den kommenden zehn Jahren etwa 25 Prozent der Beschäftigten das Rentenalter erreichen und Kandidaten für den Ruhestand sind. „In etwa drei Jahren werden wir eine ganz andere Situation auf dem Arbeitsmarkt haben. Ich setze auf die Wirkung des jüngst von der Bundesregierung verabschiedeten Sondervermögens und gehe von einer wirtschaftlichen Erholung auch für Ostwestfalen-Lippe aus. Wenn wir jetzt präventiv aktiv werden, dann haben wir für die Zukunft schon viel gewonnen“, ist der Agenturchef überzeugt. Gemeinsam mit anderen Arbeitsmarktakteuren wie den Kammern, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften möchte er mit aller Macht verhindern, dass Beschäftigte in kriselnden Unternehmen vom Arbeitsmarkt verschwinden.
Selbstverständlich sei momentan die Situation alles andere als einfach. Die Arbeitslosigkeit nehme zu und auch die Zahl der Insolvenzen, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe. Dennoch sieht der Arbeitsmarktexperte Branchen, die einen wachsenden Bedarf an Fachkräften haben. Neben dem Gesundheitswesen seien es der öffentliche Dienst, das Sozialwesen, die Gastronomie, Firmen in der Klimatechnik und im Handwerk, die händeringend Menschen suchten. Diese Potenziale müssten genutzt werden. Radler hat da auch eine konkrete Idee, mithilfe einer sogenannten „Drehscheibe“ will der Arbeitsmarktexperte dafür sorgen, dass qualifizierte Beschäftigte, die in einem kriselnden Unternehmen nicht mehr benötigt werden, in ein anderes, das Personal sucht, eintreten. „Diese Arbeitsmarktdrehscheibe ist eine Mission, ein Instrument, mit dem wir versuchen, die Voraussetzungen zu schaffen, dass Beschäftigte des einen Unternehmens wie auf einer Drehscheibe von einer Firma zur anderen wandern.“
In der Region sind diese sogenannten Arbeitsmarktdrehscheiben bisher noch nicht zum Einsatz gelangt. Ein Grund mag im starken Mittelstand liegen, der eine stabile Bank ist. Dennoch können auch große Unternehmen, wie das jüngste Beispiel des geplanten Stellenabbaus bei der Phoenix Contact Deutschland GmbH zeigt, in Ostwestfalen-Lippe davon betroffen sein.
Deutschlandweit hat man mit diesem Instrument bereits sehr gute Erfahrungen gemacht. Denn die etwa 30 Drehscheiben haben verhindert, dass viele Mitarbeiter von Großunternehmen arbeitslos wurden. So konnten zum Beispiel Beschäftigte des Unternehmens Conti in der Region Hannover vor einigen Jahren einen neuen Arbeitsplatz bei benachbarten Unternehmen Rheinmetall und Stiebel Eltron finden.
„Wir müssen alles tun, um die Qualität und die Fachkräfte in unserem Land zu halten.“
Was nicht heißt, dass es in der Region keine kriselnden Betriebe gibt. „Wenn ein Unternehmen Beschäftigte abbauen musste und wir informiert waren, haben wir selbstverständlich unterstützt und gezielte Maßnahmen getroffen, indem Arbeitsvermittlungen beschleunigt oder Kontakt zu Unternehmen mit Personalbedarf aufgenommen wurde. Wichtig ist, dass wir möglichst frühzeitig eingeschaltet werden“, so Radler. Selbstverständlich weiß auch er, dass es für Unternehmen in einer wirtschaftlich schwierigen Lage nicht einfach ist, sich mitzuteilen. Da gehe es schließlich um Vertrauen.
Und ihm ist auch klar, dass nicht immer die Qualitäten der Beschäftigten, die aus einem Unternehmen freigesetzt werden, mit den gesuchten Anforderungen des neuen Arbeitgebers kompatibel sind. Wenn das Matching nicht passe, könne man zum Beispiel über den Weg der Qualifizierung gehen, so Radler, der Mut machen möchte. Herausforderungen seien auch die Aspekteregionale Mobilität und das Zurücklegen größerer Strecken zum Arbeitsplatz und das Gehalt. Auch das müsse bei allen Überlegungen beim Übergang in einen neuen Job berücksichtigt werden. „Wir versuchen alles, um Brücken zu bauen, wissen aber auch, dass es manchmal nicht sofort funktioniert. Dann sind wir gefordert, individuelle Lösungen zu suchen.“
„Wir können im Miteinander etwas gestalten, was vielleicht vorher gar nicht denkbar schien, weil man zu sehr standardisiert gehandelt hat. Wenn die Entscheidung erst einmal für Transfergesellschaften, Abfindungen oder Sozialpläne gefallen ist, schränkt es alternative Handlungsmöglichkeiten ein.“
Radler appelliert an die Unternehmen, sich frühzeitig an die Agentur für Arbeit oder einen der anderen Partner zu wenden. Dann könne man präventiv agieren und gemeinsam überlegen, wie man Arbeitskräfte in der Region halten könne und wie man Perspektiven jenseits von Frühverrentung und Abfindungen schaffe. Schließlich gehe es darum, den Wohlstand zu halten, den Mittelstand zu stärken, Handwerk und Industrie sowie die sozialen und öffentlichen Einrichtungen zu erhalten.
Weitere Informationen:
Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit Detmold, Tel.: 05231/610165