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Standpunkt von Journalist Peter Göhringer

Immobilien-Leerstand in der City: Der Online-Versand ist der Sargnagel für den Einzelhandel

Der Immobilien-Leerstand in den Innenstädten ist oft Gegenstand der Presseberichterstattung. Als Ursachen werden meist die hohen Parkgebühren und überzogene Mieten angeführt. Falsch! Es ist in erster Linie der ausufernde Versandhandel per Internet, der die Innenstädte ausbluten lässt.

Erst schließen die Läden und Cafés, dann die Restaurants, Friseure und weitere Dienstleister. Hotels, Banken und Boutiquen haben die City ohnehin längst verlassen. Stattdessen halten Döner-Verkäufer, Spielsalons und Wettbüros Einzug – alles andere als ein adäquater Ersatz.
Die Konsequenz: Die Verbraucher zieht es nicht mehr in die Stadt, um einzukaufen und um Schaufenster zu gucken. Teure Mieten und Parkplätze werden oft als Ursachen genannt. Beides trägt zweifelsohne zur Stadtflucht bei; der wahre Hintergrund für den Leerstand ist aber der ausufernde Online-Versandhandel. Es ist ja so bequem, vom Sofa aus auszuwählen und zu bestellen. Bei Nichtgefallen wird die Ware zurückgeschickt. Und das als Gratisleistung des Anbieters. Der Versandkatalog und die ausufernde Werbung im Internet haben den Schaufensterbummel unattraktiv gemacht. Der Versandhandel via Internet ist der eigentliche Totengräber des Einzelhandels.

An den Logistik-Hotspots der Händler schießen neue Regallager wie Pilze aus dem Boden. Stadtnahe Satellitenlager gewährleisten rascheste Lieferung, möglichst noch am Tag der Bestellung. „Same day delivery“ und „Overnight-Zustellung“ nennen das auf Neudeutsch die digital geschulten Experten. Dieser Trend hat eine weitere Konsequenz: Zustellung und Rückgabe der Pakete hinterlassen einen Müllberg an Verpackungsmaterial. Obendrein versiegeln die City-Depots und die zugehörigen Parkplätze große Oberflächen, so dass Niederschläge nicht in das Erdreich versickern können und somit die Klärwerke überlasten.

Der wuchernde Online-Handel zieht indes einen weiteren Rattenschwanz an schwerwiegenden Nachteilen nach sich: Zigtausende Verteiler-Fahrzeuge belasten den Verkehr und blockieren den Parkraum in den Städten, von der zusätzlichen Luftverschmutzung abgesehen. Allein die Deutsche Post hat binnen zwanzig Jahren die Zahl der Paketzustellungen verdoppelt. Es waren zuletzt 6,3 Millionen Sendungen pro Tag (!), teilt die Post-Tochter DHL mit.
Selbstredend nimmt auch der Schwerlastverkehr von und zu den städtischen Warenverteilzentren zu. Das bedeutet einen weiteren Schub an Emissionen für die ohnehin meist stark belastete Stadtluft. Die Sattelschlepper haben Auflieger mit drei Achsen und wiegen beladen bis zu 40 Tonnen. Bei Landstraßen und innerorts ist der Straßenunterbau den hohen Punktlasten gar nicht gewachsen. Das bedeutet immer häufigere Reparaturen.
Unlängst wurden die erlaubten Achslasten sogar erhöht. Das Gesamtgewicht des Sattelschleppers darf mittlerweile bis zu 42 Tonnen betragen. Soviel wiegt ein voll munitionierter Kampfpanzer.
Der Schwerlastverkehr nervt die Anwohner durch Lärm und vermehrte Abgasemissionen. Ein schwacher Trost: Der Gigaliner ist wenigstens aus der Diskussion verschwunden. Dessen Zulassung wäre der Gipfel der Perversion gewesen.

Fazit: Die ausufernde Home-Zustellung hat katastrophale Folgen, nicht nur für die Verödung der City, sondern für die ganze Infrastruktur. Eine Reihe unfähiger Verkehrsminister hat es nicht geschafft, Schwerlasten schrittweise wieder auf die Schiene zu hieven. Das Gegenteil ist der Fall: Die Deutsche Bahn war bis zum Verkauf ihrer Speditionstochter Schenker der größte Spediteur der Republik.

Und das ist noch nicht alles: Die Bahn erhöhte unlängst die Schienenmaut, was noch mehr Güter auf die Straße bringt. Die hohen Trassenpreise für den Bahntransport verstärken den fatalen Trend. Dem kann man nur fassungslos gegenüberstehen. Sind das alles Auswüchse des Online-Versandhandels?
Die Kausalzusammenhänge sind jedenfalls unbestreitbar. Sie werden von der Politik nur nicht wahrgenommen. Indes wird manche Innenstadt mit Millionen Euro für die „Revitalisierung“ aufgepäppelt. Mit verkehrsfreien Zonen und öffentlichen Verkehrsmitteln, die unter die Erde kommen. Wie soll das gelingen, wenn die leerstehenden Schaufenster die Passanten wie blinde Augen anstarren?
Die fatale Entwicklung ließe sich schrittweise umkehren, politischer Wille vorausgesetzt. So ist eine hohe Besteuerung des Online-Handels dringend geboten. Das würde dem Einzelhandel fraglos neue Chancen bieten, die Kunden in die City zurückzulocken. Geradezu grotesk: Wir tolerieren ausländische Anbieter, die in Deutschland Milliardenumsätze machen und ihre Gewinne in ihre Heimatländer transferieren. Beispiel Amazon. Indessen verschleißen unsere Verkehrswege und der Einzelhandel kollabiert.

Der Leerstand in den Innenstädten lässt die Bemühungen der Kommunen, die City durch Fußgängerzonen, gelegentliche Straßenfeste, Markt- und Konzertveranstaltungen wieder attraktiv zu machen, ins Leere laufen.
Der schrankenlose Versandhandel ist für Länder mit hoher Bevölkerungs- und Verkehrsdichte einfach ungeeignet. Ob sich der Trend noch umkehren lässt? Ein zu schöner Gedanke, um wahr zu werden.

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