KI-Kompetenzentwicklung

„Es braucht ein echtes Transformationsmanagement mit Fingerspitzengefühl“

KI-Anwendungen sind im Berufsalltag längst angekommen. Doch wie gehen Frauen und Männer mit dieser Technologie um? In der „Denkfabrik Digitalisierte Arbeitswelt“ am Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Bielefeld haben Forschende unter der Leitung von Professor Dr. Sascha Armutat in der Studie „Fit für KI“ untersucht, was Unternehmen tun müssen, um bei allen Beschäftigten die Akzeptanz für die Nutzung von KI zu erhöhen.

Welche Kompetenzen und Qualifikationen werden künftig wichtig?
Dr. Sascha Armutat: Das ist für alle Unternehmen aktuell eine zentrale Frage. Auch wenn KI viele Aufgaben substituieren kann – McKinsey geht in einer vorsichtigen Schätzung von 27 Prozent der Arbeitsstunden aus, die zukünftig von ChatGPT und Co. im Durchschnitt aller Berufsgruppen ersetzt werden können – wir brauchen auch zukünftig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Steuerungs- und Entscheidungsaufgaben, für viele Aufgaben mit direktem Kundenbezug, aber auch für Aufgaben, die mit der Integration von KI in Unternehmen zu tun haben. Dazu benötigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zukünftig ein Grundverständnis dafür, was es mit digitalen Technologien auf sich hat, wie sie funktionieren und welche Konsequenzen sich daraus ergeben – für den eigenen Arbeitsbereich, für das Unternehmen, aber auch für die Gesellschaft. Dazu kommt die Befähigung, diese Technologien auch professionell einzusetzen, um die Arbeitsaufgaben im Alltag zu erledigen sowie Kompetenzen in den Bereichen Datenschutz und Datensicherheit.  Spannend ist, dass in den meisten Studien deutlich wird, dass es gar nicht nur die technologischen Kompetenzen sind, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem digitalisierten, KI-beeinflussten, agileren Arbeitsumfeld benötigen. In einer veränderten Arbeitswelt benötigen sie vor allem soziale und emotionale Kompetenzen wie Anpassungsfähigkeit, Kreativität, Unternehmertum sowie höhere kognitive Kompetenzen wie unter anderem das kritische Denken, das Beherrschen von Projektmanagement, Optimierungs- und Planungsprozessen sowie kundenorientiertes Denken.
Wir haben in unserer Arbeitsgruppe „Denkfabrik Digitalisierte Arbeitswelt“ an der Hochschule Bielefeld auf dieser Grundlage ein generisches KI-Kompetenzmodell entwickelt, das diesen Herausforderungen entspricht und das digital-technologische Kompetenzen wie Datenkompetenz oder KI-Awareness, soziale Kompetenzen wie interdisziplinäre Zusammenarbeit oder ethisches Bewusstsein und kognitive Kompetenzen wie kritische Reflexion oder ganzheitliches Denken unterscheidet.

Wie können die Beschäftigten fit gemacht werden, um den Umgang mit neuen Technologien wie KI zu lernen?
Dr. Sascha Armutat: Das ist eine Frage einer ganzheitlichen Personalentwicklung, die strukturelle Anpassungen, betriebliche Bildungsmaßnahmen und klassisches Veränderungsmanagement kombiniert. Zuerst muss klar sei, in welchen Anwendungsfeldern KI eine Rolle spielen soll beziehungsweise wo digitalisierte Prozesse eingeführt werden sollen. Dafür sind die erforderlichen infrastrukturellen, datenbezogenen und prozessual-strukturellen Grundlagen zu schaffen. Aus den veränderten Arbeitsbedingungen ergibt sich ein veränderter Kompetenzbedarf, der mit Hilfe eines KI-bezogenen Kompetenzmodells – wie zum Beispiel in der vorherigen Antwort skizziert – genauer zu fassen ist. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine Bildungsbedarfsermittlung für die betroffenen Mitarbeiterinnen durchführen und es lassen sich individuelle Bildungsmaßnahmen initiieren, um die technikbezogenen Kompetenzen zu entwickeln.

Damit ist es aber nicht getan: Alle Erfahrungen zeigen, dass wir es bei der Digitalisierung, insbesondere bei der Einführung von KI, mit einem Wandelprozess im Unternehmen zu tun haben, der über das Erlernen neuer Arbeitsprozeduren hinausgeht und viel mit einem veränderten Mindset, mit einem veränderten Selbstverständnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu tun hat. Und auch mit der Bereitschaft, sich auf das Wagnis einer komplexen Technologie in einem veränderten Geschäftsmodell mit einem angepassten Operating Model einzulassen. Das erfordert ein echtes Transformationsmanagement mit Fingerspitzengefühl: Maßnahmen zur Steigerung der Technologieakzeptanz, Partizipationsmöglichkeiten in den Einführungsprojekten, Räume für die angstfreie Äußerung von Befürchtungen. Es hat sich übrigens gezeigt, dass u.a. drei Aspekte für die tatsächliche Nutzung von KI-Anwendung wichtig sind: Die Anwendungen müssen als kurzweilig wahrgenommen werden, die soziale Gruppe, in der sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewegen, muss KI generell positiv bewerten und die KI darf nicht als zu menschenähnlich wahrgenommen werden. Das sollte ebenfalls bei der Gestaltung der Transformation berücksichtigt werden.

Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
Dr. Sascha Armutat: Das war für uns ein erstaunliches Ergebnis unserer eigenen Forschung: Es bestehen Unterschiede darin, wie unvoreingenommen sich Männer und Frauen auf KI-Technologien einlassen. Das zeigte uns eine Befragung aus dem Jahr 2021: Männer schätzten ihre KI-Kompetenzen höher ein als Frauen, ihr Vertrauen in die Technologie war größer und sie betonten eher die Chancen und Potenziale der Technologie.

Wir sind dem in einer qualitativen Studie nachgegangen und haben eine negative KI-Akzeptanzspirale identifizieren können, die auf technikbezogenen Geschlechterstereotypen beruht und die die Sozialisation von Mädchen und jungen Frauen gerade in der Ausbildungsphase bestimmt:  In den Familien und Schulen werden oftmals entsprechende Stereotype vorgelebt und führen zu Diskriminierungserfahrungen, die gerade bei den Mädchen eine thematische Distanz verursachen. Diese führt zu einer geringeren Bereitschaft, sich mit KI und Digitalisierung zu beschäftigen. Das reduziert deren Bereitschaft, sich Wissen in diesem Themenfeld anzueignen. Durch Berichte über diskriminierende KI-Systeme und durch die Wahrnehmung von KI als transparenter Black Box entsteht eine zusätzliche Skepsis, die dann in Verbindung mit Wissensdefiziten und gesellschaftlichen Stereotypen die distanzierte Haltung von Mädchen und jungen Frauen zu KI-Systemen verstärkt.
Für uns ergibt sich aus diesen Zusammenhängen erstens, dass Unternehmen über gendersensible Sensibilisierungsmaßnahmen nachdenken müssen, wenn sie KI einführen. Dazu gehören genderspezifische Angebote zum Ausgleich von KI-Wissensdefiziten, differenzierte Erfahrungsaustauschformate und genderdiverse KI-Projektgruppen. Zweitens ergibt sich daraus die Notwendigkeit für Bildungseinrichtungen wie Schulen und Hochschulen, über unreflektiert vorgelebte Geschlechterstereotype nachzudenken, das Lehrpersonal dafür zu sensibilisieren und KI-Themen explizit in die Curricula zu integrieren.  

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