Wie geht es weiter mit der Inflation? Gehen die Preissteigerungsraten bald wieder zurück, oder bleiben sie so hoch wie aktuell? Kaum eine andere Problematik treibt die Unternehmen zurzeit derart um, wie dieses Thema. Prof. Dr. Manuel Rupprecht vom Fachbereich Wirtschaft der Münster School of Business (MSB) an der FH Münster kann diese Fragen auch nicht mit Gewissheit beantworten.
m&w: Herr Professor Rupprecht, was ist der Auslöser für die aktuelle Inflation?
Dr. Manuel Rupprecht: Zu den wesentlichen Ursachen der derzeit hohen Inflation zählen neben pandemiebedingten Lieferengpässen vor allem die hohen Kosten für Energie, allen voran für Öl und Gas. Deren Preise stiegen schon vor Beginn des Ukrainekrieges, seitdem aber noch einmal verstärkt. Hinzu kommt, dass der Dollar – die Währung, in der diese Produkte auf den Weltmärkten gehandelt werden – in den letzten Monaten stark aufgewertet hat, also aus unserer Sicht teurer geworden ist. Das hat zu weiteren Preissteigerungen geführt. Inzwischen steigen allerdings auch die Preise anderer Güter verstärkt an, etwa die von Lebensmitteln. Das wiederum hängt neben der teuren Energie mit Angebotsengpässen, einer veränderten Nachfrage und den Erwartungen weiterer Preissteigerungen in der Zukunft zusammen.
m&w: Wie problematisch ist eine Inflation für die Wirtschaft?
Dr. Manuel Rupprecht: Sehr. Umfragen zeigen, dass die hohen Preise für Vorprodukte bzw. in der Produktion – die sogenannten Erzeugerpreise stiegen auf Jahressicht zuletzt um knapp 46 Prozent und damit so stark wie nie zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik – zu den größten Sorgen deutscher Unternehmen gehören. Dies gilt umso mehr, wenn die Preissteigerungen nur bedingt an die Kunden weitergegeben werden können. Wenn dann noch Kaufzurückhaltung hinzukommt, sind Schwierigkeiten vorprogrammiert, die sich auch längerfristig auswirken können.
Dr. Manuel Rupprecht, Dekan der Münster School of Business, ist Professor für Volkswirtschaftslehre, Schwerpunkt Internationale Wirtschaftspolitik, an der FH Münster. Foto: Milana Mohr
m&w: Wird uns die Inflation noch länger begleiten, müssen wir sogar mit einer noch höheren Teuerungsrate in den nächsten Jahren rechnen?
Dr. Manuel Rupprecht: Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Kurzfristig, das heißt auf Sicht von ein bis zwei Jahren, spricht einiges dafür, dass die Inflation zurückgehen wird, weil die Ursachen abklingen. Irgendwann werden sich die Lieferbeziehungen normalisieren. Auch die Energiepreise werden nicht stetig weiter steigen, sondern sich früher oder später stabilisieren. Das ist ja auch explizites Ziel der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung (Stichwort: Gas- und Strompreisbremse). Auf lange Sicht deutet allerdings einiges darauf hin, dass wir uns auf höhere Inflationsraten einstellen müssen. Verantwortlich dafür sind sogenannte strukturelle Faktoren, zum Beispiel die Demographie oder die Globalisierung. Diese Faktoren wirken im Hintergrund, beeinflussen aber die Möglichkeiten von Unternehmen und Haushalten, Preise zu gestalten und Löhne zu verhandeln, was letztlich maßgeblich für die Inflationsentwicklung ist. Das bedeutet nicht, dass die Preissteigerungen künftig noch höher ausfallen als heute. Aber so niedrige Inflationsraten, wie wir sie seit den 1990er Jahren gewohnt waren – im Durchschnitt stiegen die Preise zwischen 1991 und 2020 um ca. 1,7 Prozent – sind in den kommenden Jahren aus meiner Sicht eher unwahrscheinlich.
m&w: In den nächsten Jahren sollen laut Experten die Energiepreise auf einem hohen Niveau bleiben. Im Vergleich zu den USA und Asien haben europäische Unternehmen damit einen Wettbewerbsnachteil. Was kann die deutsche Wirtschaft dagegen tun, um dauerhafte Schäden abzuwenden?
Dr. Manuel Rupprecht: Sollte es wirklich so kommen, wäre dies eine erhebliche Herausforderung für die deutsche Wirtschaft. Begegnen kann man dieser letztlich nur, indem man versucht, trotz höherer Produktionskosten besser zu sein als die Konkurrenz. Ich denke hier vor allem an Prozess- und Produktinnovationen. Schon heute zeigt sich ja, dass Unternehmen Veränderungen in ihrer Produktion vornehmen können und zum Beispiel teure Energieträger durch günstigere ersetzen. Hier wird weiteres Potenzial zu heben sein. Dem sind allerdings natürliche Grenzen gesetzt. Insofern braucht es in jedem Fall Innovationen. Ohne die Politik wird es allerdings nicht gehen. Wenn es nicht gelingt, die Energiepreise dauerhaft zu stabilisieren und zu senken, werden bisher erfolgreiche Geschäftsmodelle hierzulande nicht mehr tragfähig sein und im Zweifel abwandern. Das ist eine ernste Gefahr, die in meinen Augen von der Politik bislang nicht ausreichend adressiert wird.
m&w: Ist es sinnvoll, dass Unternehmen auch weiterhin investieren? Und wenn ja, wo ist der Bedarf am größten?
Dr. Manuel Rupprecht: Ja, definitiv. Investitionen legen die Grundlage für künftige Erträge und damit für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Ohne Investitionen leben wir von der Substanz, und das führt früher oder später zu Wohlstandsrückgängen. In welchen Bereichen sich Investitionen am ehesten lohnen, wissen jene am besten, die diese tätigen. Es gibt naheliegende Themen – nachhaltige Transformation, Gesundheit, Digitalisierung etc. – aber mit konkreten Ratschlägen halte ich mich zurück.
m&w: Welche Tipps geben Sie Unternehmern, um am besten mit der Inflation umzugehen bzw. gegenzusteuern?
Dr. Manuel Rupprecht: Ich denke, dass Unternehmen am besten selbst wissen, wie sich sinnvoll und effektiv auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren lässt und nicht unbedingt die Ratschläge eines Professors benötigen, der im Zweifel weniger über die konkrete Branche weiß als sie selbst. Grundsätzlich rate ich aber dazu, sich auf dauerhaft höhere Inflationsraten einzustellen, dies in der Produktion, bei Finanzierungsfragen und auch in der Kommunikation mit den Kunden zu berücksichtigen. Die Zeit, in der spürbare Preissteigerungen nur bei ausgewählten Produkten zu beobachten und/oder vorübergehender Natur waren, dürften bis auf Weiteres vorbei sein. Das ist nicht automatisch schlecht. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Und damit sollte man meines Erachtens eher früher als später beginnen.