Neben dem bekannten Zweck der Absicherung eigener Innovationen sollte eine moderne Schutzrechtsstrategie auch darauf abzielen, eine eigene Verteidigungsposition gegen fremde Schutzrechte aufzubauen und den Aufbau fremder Patentportfolios zu erschweren.
Technische Erfindungen können bekanntlich als Patent und/oder als Gebrauchsmuster geschützt werden. Dabei kann das Gebrauchsmuster mehr sein als nur ein „kleines Patent“, als das es häufig bezeichnet wird.
Für die Schutzfähigkeit von Erfindungen als Patent oder als Gebrauchsmuster gelten zwar (fast) die gleichen Maßstäbe in Bezug auf die Neuheit und erfinderische Tätigkeit.
Jedoch gibt es wichtige Unterschiede z. B. bei der Schutzdauer (Patent 20 Jahre, Gebrauchsmuster 10 Jahre) und der (fehlenden) Prüfung: Während für eine Patentanmeldung zunächst ein langes Prüfungsverfahren zu absolvieren ist, bei dem Neuheit und erfinderische Tätigkeit amtlich geprüft wird, ist das Gebrauchsmuster schon wenige Wochen nach der Anmeldung gültig und gerichtlich durchsetzbar. Während bei einer Patentanmeldung alles, was jemals vor dem Anmeldetag öffentlich bekannt wurde, eine spätere Patentierung verhindern kann, insbesondere auch Präsentationen des Erfinders selbst, bleiben beim Gebrauchsmuster eigene Veröffentlichungen des Erfinders in einem Zeitraum von sechs Monaten vor der Anmeldung außer Betracht.
Es gibt aber noch mehr, eher unbekannte Besonderheiten des Gebrauchsmusters:
-Wird eine erste Patentanmeldung eingereicht und später eine überarbeitete zweite Patentanmeldung, die sich auf den Stichtag der Erstanmeldung bezieht (sog. Prioritätsrecht), erlischt die erste Patentanmeldung automatisch. Diese Rechtsfolge gibt es bei Gebrauchsmustern nicht; man kann also zeitlich gestaffelt mehrere Gebrauchsmuster für dieselbe Erfindung beantragen.
-Das Nebeneinander mehrerer Gebrauchsmuster verbreitert die Verteidigungsposition: Ein Angreifer müsste mehrere Löschungsverfahren gleichzeitig initiieren.
-Durch zwei Gebrauchsmusteranmeldungen mit einem Jahr Abstand kann man die Schutzdauer de facto auf elf Jahre erhöhen.
-Für nur 250 Euro kann eine amtliche Beurteilung der Schutzfähigkeit durch das Patentamt erhalten werden.
-Die Eintragung und Veröffentlichung kann um bis zu 15 Monate hinausgezögert werden, und dieser Antrag kann jederzeit wieder zurückgenommen werden.
Hieraus ergeben sich verschiedene Taktiken:
1. Wenn die eigene Erfindung gut und wichtig ist: Die Anmeldung eines Gebrauchsmusters führt innerhalb von Wochen zu einem aktiven Schutzrecht.
2. Wenn die eigene Erfindung gut und wichtig ist, aber nicht direkt preisgegeben werden soll: Durch eine frühe Gebrauchsmusteranmeldung wird der relevante Stichtag gesichert; durch Antrag auf Aussetzung bleibt die Anmeldung bis zu 15 Monate in der Schwebe. Bei Bedarf kann innerhalb weniger Wochen ein aktives Schutzrecht „hervorgezaubert“ werden, z. B. kurz vor einer wichtigen Messe.
3. Wenn nicht sicher ist, ob die eigene Entwicklung wirklich schutzfähig ist:
Man meldet ein Gebrauchsmuster mit Antrag auf Aussetzung und amtliche Recherche zum Stand der Technik an. Ist das Rechercheergebnis positiv, freut man sich über ein rechtsbeständiges Schutzrecht; ist es negativ, wirkt die Anmeldung immer noch als Stand der Technik, oder man nimmt sie zurück, sodass niemand jemals etwas von ihrer Existenz erfahren wird.
Indem man „Nebelkerzen zündet“ und bewusst ein Schutzrecht in die Welt setzt, von dem niemand so recht weiß, ob es rechtsbeständig oder löschungsreif ist, bindet man Ressourcen beim Wettbewerb für Überwachung, intensive Prüfungen oder für eine Umkonstruktion zur Umgehung.
4. Wenn man weiß oder ahnt, in welche Richtung sich ein Wettbewerber entwickeln wird: In einer eigenen Gebrauchsmusteranmeldung fasst man alle denkbaren Ansätze zusammen, die mit Veröffentlichung zum Stand der Technik werden. Ob der Inhalt gebrauchsmusterfähig ist, ist ohne Interesse. Ziel ist es, Schutzrechtsanmeldungen des Wettbewerbers erheblich zu erschweren oder zu verhindern.
Da sich die Kosten eines Gebrauchsmusters für eine erste dreijährige Schutzdauer im Wesentlichen auf das Anwaltshonorar für die Ausarbeitung der Anmeldeunterlagen beschränken, eignet sich dieses Schutzrecht besonders für KMUs, um eigene Innovationsansätze breit zu streuen oder um bloße Gedankenexperimente zum rechtlich relevanten Stand der Technik zu machen und dabei den Rest der Welt absichtlich über die wahre Schutzfähigkeit im Unklaren zu lassen.
Autor des Beitrags ist Oliver Tarvenkorn. Der Patentanwalt, European Patent Attorney sowie European Trade Mark and Design Attorney ist für BOEHMERT & BOEHMERT am Standort Düsseldorf tätig. Er ist außerdem Vertreter vor dem EPG. Weitere Informatiponen: www.boehmert.de